Kolumbien: Vom "umfassenden Frieden" zur Schadensbegrenzung
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Proteste in Kolumbien (Archivbild)
Cali (epd).

Die Aufbruchstimmung war spürbar: Kolumbiens Präsident Gustavo Petro trat sein Amt 2022 mit dem Ziel an, den seit Jahrzehnten anhaltenden Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Sein Plan: ein „allumfassender Frieden“, der Verhandlungen mit Guerillas, Drogenbanden und paramilitärischen Strukturen einschließt. Drei Jahre später ist die Bilanz trotz einzelner Hoffnungsschimmer ernüchternd.

Das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla 2016 galt international als historischer Durchbruch. Der seit den 1960er Jahren andauernde Krieg sollte mit dem Friedensnobelpreis für Präsident Juan Manuel Santos einen Schlusspunkt finden. Doch die Gewalt verschwand nicht, sondern setzte sich in zersplitterter Form fort. Heute operieren mehrere Dutzend bewaffnete Gruppen in Kolumbien. Motor der Gewalt bleiben Drogenhandel und illegaler Bergbau.

Dialog mit Guerilla liegt auf Eis

Das sichtbarste Beispiel für das Scheitern von Petros Strategie ist der Dialog mit der ELN-Guerilla. Seit Anfang 2025 liegt er auf Eis. Zugleich eskalierte die mit rund 6.000 Kämpfern größte Rebellengruppe die Gewalt in der nordöstlichen Region Catatumbo. Ziel der Angriffe war die Konkurrenz - Farc-Dissidenten -, doch auch Zivilisten, Aktivisten und ehemalige Rebellen. Rund 50.000 Menschen wurden vertrieben, fast 100 starben.

Petro sprach von „Kriegsverbrechen“ und warf der ELN mangelnden Friedenswillen vor. Die Guerilla erklärte die Gespräche für beendet und fordert tiefgreifende soziale und strukturelle Reformen des Staates. Damit setzt sie trotz ihrer geringeren landesweiten Bedeutung enorm hohe Hürden, auf die sich die Regierung allein wegen des Signals an andere bewaffnete Gruppen nicht einlassen kann.

Ein Hoffnungsschimmer ist der parallel geführte Dialog mit den „Comuneros del Sur“, einem ELN-Ableger im Südwesten. Die Gruppe übergab Waffen an die Streitkräfte und unterzeichnete ein Abkommen zur Opferbetreuung und zum Ersatz von 5.000 Hektar Koka-Stauden durch andere Nutzpflanzen.

„Handwerkliche Fehler“

Auch mit der Farc-Abspaltung „Frente 33“ gab es eine Vereinbarung: Seit Mai befinden sich die Kämpfer in einer Sicherheitszone für die Zeit von Friedensverhandlungen. Der Prozess läuft parallel zu Militäroperationen gegen andere Splittergruppen der demobilisierten Farc-Guerilla. Gleichzeitig laufen in mehreren Städten Dialoge mit kriminellen Banden.

Trotz punktueller Fortschritte überwiegen die Rückschläge. „Es gibt handwerkliche Fehler, überlastete staatliche Stellen und keine einheitliche Kommunikationsstrategie, auch gegenüber der Gesellschaft“, sagt Stefan Peters, Friedensforscher an der Uni Gießen und Direktor des Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts Capaz.

Im Juni 2025 zündeten bewaffnete Gruppen im Südwesten des Landes mehrere Autobomben. In der Hauptstadt Bogotá stiegen Schutzgelderpressungen und Gewalt. In ländlichen Regionen werden mehrere Menschen wöchentlich ermordet, die sich für Landrechte, Bauern, die Umwelt, Frauen, Indigene oder Afrokolumbianer einsetzen - laut dem Friedensforschungsinstitut Indepaz in diesem Jahre bereits 95.

Manche bewaffnete Gruppen nutzen die Dialogbereitschaft der Regierung, um ihre Verhandlungsmacht zu erhöhen. Laut einem Geheimdienstbericht stieg die Zahl der Kämpfer und Unterstützer um 45 Prozent seit Petros Amtsübernahme. Die ELN und Farc-Splittergruppen, aber auch der paramilitärische Clan del Golfo haben Feuerpausen genutzt, um ihre Gebiete auszuweiten.

Popularität gesunken

Die Verhandlungen mit dem Clan, der größten illegalen bewaffneten Struktur Kolumbiens, stecken fest. Die Miliz, die gut im globalen Drogenmarkt vernetzt ist, fordert politische Garantien und Schutz vor Auslieferung. Die Regierung lehnt dies ab und geht militärisch gegen Clan-Kommandeure vor.

Die Vielschichtigkeit der Akteure macht Präsident Petros Plan so kompliziert. Während das ELN politische Forderungen stellt, verfolgen Paramilitärs wie der Clan del Golfo ökonomische Interessen. In vielen Regionen fehlt es weiter an staatlicher Präsenz. Und der Anbau von Kokapflanzen bleibt finanziell attraktiver als alle Alternativen.

2026 steht die nächste Präsidentschaftswahl an. Petro hat mehr für die Umsetzung des Farc-Abkommens getan als seine Vorgänger. So wurden über 200.000 Hektar Land an Kleinbauern übergeben. Doch seine Popularität ist wegen seiner erratischen Regierungsführung gesunken, eine Wiederwahl gesetzlich ausgeschlossen. Die Friedenspolitik bleibt seine größte Baustelle. Das gibt den bewaffneten Gruppen zusätzliche Verhandlungsmacht.

Petros Friedensprojekt sei von Beginn an sehr ambitioniert gewesen, sagt Peters. „Aber es gibt keine bessere Alternative zu Verhandlungen.“

Von Elias Korte (epd)