Als die Doktorin die "Müttergenesung" erfand
s:104:"Müttergenesung und Familienpflege waren in den 50er Jahren Schwerpunkte des Diözesan-Caritasverbandes.";
Müttergenesung und Familienpflege waren in den 50er Jahren Schwerpunkte des Diözesan-Caritasverbandes.
Einrichtung für Erholungskuren von Müttern wird 75 Jahre alt
Nürnberg, Bonn (epd).

Sie ist erschöpft, hat ständig Kopfschmerzen und kann nur schlecht schlafen. Wenn diese Mutter Glück mit dem Hausarzt hat, dann weiß er bei solchen Symptomen, dass er ihr eine Müttergenesungskur verschreiben kann, sagt Kurberaterin Sabine Reinholdt von der evangelischen Landesgeschäftsstelle des Müttergenesungswerks in Stein bei Nürnberg. Der Andrang auf diese Erholungskuren sei seit der Corona-Pandemie ungebrochen hoch. Die Anträge würden von den Kassen zwar selten abgelehnt - die freien Plätze seien aber rar, sagt Reinhold. „Momentan muss man mit einer Wartezeit zwischen neun und zwölf Monaten rechnen.“

Der Anspruch auf Müttergenesung ist weltweit nur in Deutschland rechtlich verankert. Daran erinnert ab dem 18. Juli die erste Stele eines „Historischen Pfads“ in Stein, der zum 75. Gründungsjubiläum des Müttergenesungswerks errichtet wird. Antonie Nopitsch (1901-1975) und Elly Heuss-Knapp (1881-1952), die Frau des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, setzten nach einer eher zufälligen Begegnung 1949 ein Jahr später die Idee des Deutschen Mütter-Genesungswerks um. Bis heute sind die Frauen der amtierenden Bundespräsidenten Schirmherrinnen des Müttergenesungswerks.

Bereits 1933 begründete Nopitsch, eine promovierte Sozialwissenschaftlerin, die von ihren Mitarbeiterinnen liebevoll „Doktorin“ genannt wurde, den Mütterdienst in Bayern, um seelisch und körperlich erschöpften Müttern zu helfen. Trotz des christlichen Hintergrunds dieser evangelischen Sozialeinrichtung sahen die Nationalsozialisten die Arbeit zunächst mit Wohlwollen, da die Betonung der Mutterrolle auch in ihre Ideologie passte. Als aber im Dritten Reich die Erholungsheime aus dem kirchlichen Bereich herausgelöst wurden, begann der Mütterdienst unter großen Schwierigkeiten, eigene Heime zu führen.

Heute gehören 70 Kliniken zum Verbund des Müttergenesungwerks, die stationäre medizinische Kuren zur Vorsorge und Rehabilitation anbieten. Unter dem Dach des Müttergenesungswerks arbeiten fünf gemeinnützige Organisationen zusammen: Arbeiterwohlfahrt (AWO), Rotes Kreuz, Caritas, Paritätischer Wohlfahrtsverband und evangelische Kirche. Bundesweit arbeiten über 1.000 Beratungsstellen als Anlaufpunkte für Mütter, Väter und pflegende Angehörige und unterstützen bei allen Fragen rund um die Kur.

Für manche junge Frau klingt der Name Müttergenesungswerk etwas altmodisch. Aber solange weiter drei Viertel aller Care-Arbeit von Frauen gemacht wird, hat es seine Berechtigung, ihnen diese speziellen Kuren - mit Kinder oder ohne - zu vermitteln, sagt die erste Vorständin des Frauenwerks Stein und Geschäftsführerin der Einrichtungen der Müttergenesung in Bayern, Sylvia Bogenreuther.

Während Mütter früher körperlich ohne moderne Maschinen schufteten, keine Hilfe von Männern im Haushalt hatten und den Mund halten sollten, sind heutige Frauen anderem Druck ausgesetzt. „Sie sollen toll aussehen, intelligent sein, arbeiten, Kinder haben und sich engagieren - das ist eine psychische Belastung.“ Und kaum sind die Kinder aus dem Haus, brauchen Eltern und Schwiegereltern Pflege, so erleben es viele Frauen, stellt Bogenreuther fest.

Die Politik müsse daher Familie mehr als Gesamtheit der Generationen sehen, fordert die Vorständin. Es müsse mehr Pflegeplätze geben und für pflegende Frauen eventuell neue Formen der Erholungskuren. „Jeder weiß, dass schon eine Woche oder zehn Tage Auszeit regenerierend sind.“ Die Gesellschaft könne nicht wollen, „dass Frauen unter der Belastung zusammenbrechen und dann auch der Arbeitswelt nicht mehr zur Verfügung stehen“, sagt die Expertin.

Von Jutta Olschewski