Künstlerische Zusammenarbeit mit dem Universum
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Kunstmuseum Bonn zeigt Werke der Künstlerin Kerstin Brätsch
Kunstmuseum Bonn präsentiert Werkschau von Kerstin Brätsch
Bonn (epd).

Stundenlang setzt Kerstin Brätsch Tropfen neben Tropfen auf eine flüssige Oberfläche, um ihre großflächigen marmorierten Gemälde zu kreieren. So entstehen Muster, die dann auf eine Papierfläche übertragen werden. - Ein Vorgang, der universellen physikalischen Kräften wie Schwerkraft, Abstoßung und Anziehung unterworfen ist. „Es ist wie eine Kollaboration mit dem Universum“, erklärt die 1979 geborene Künstlerin. Das Malen werde zu einem Prozess, der weniger von subjektiven Entscheidungen, sondern durch die Eigenschaften des Materials bestimmt sei.

Kerstin Brätsch ist bekannt für ihre Gemälde in leuchtenden Farben, die zwischen Figuration und Abstraktion changieren. Sie sei eine Künstlerin, die sich mit der Entgrenzung der Malerei beschäftige, sagt die Intendantin des Kunstmuseums Bonn, Claudia Emmert. Diese Thematik stehe auch im Mittelpunkt der Ausstellung „METAATEM“. Sie präsentiert bis zum 12. April rund 100 Werke aus den vergangenen 15 Jahren. Neben den Gemälden zeigt die Schau außerdem Installationen, die Sound-Kompositionen und Licht einbinden, sowie Videos von Performances. Die Räume des Kunstmuseums gestaltete Brätsch unter anderem, indem sie Wände mit Vergrößerungen ihrer Arbeiten tapezierte.

Brätsch erforsche die Rolle der Malerei in einer global vernetzten, digitalen Welt, erklärt Kuratorin Friederike Fast. Der Name der Ausstellung leite sich aus zwei ihrer aktuellen Serien mit den Titeln „ATEM“ und „META“ ab. Die „ATEM“-Serie umfasst Gemälde mit transparenten Farbwolken auf schwarzem Grund. Sie erinnern an Aufnahmen von Wärmebildkameras oder Röntgenbildern. Die Serie baue auf der Idee der Malerei als lebendigem Organismus auf, sagt Brätsch. „Die Pinselstriche entstehen scheinbar aus dem Nichts.“ Es sei ihr darum gegangen, innere Zustände sichtbar zu machen, die sich ständig in Bewegung befänden.

Die „META“-Serie zeigt hingegen farbintensive abstrakte Öl-Malereien auf Papier. Einige erinnerten an Körperrhythmen wie den Herzschlag, erklärt Brätsch. Andere entsprächen Porträts innerer Landschaften.

Physikalische Phänomene und geistige Kräfte in der Kunst

Brätsch knüpfe mit ihrer Arbeit an die Anfänge der abstrakten Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, erklärt Intendantin Emmert. Durch Entdeckungen wie die der Röntgenstrahlen, der Telegrafie oder der elektromagnetischen Wellen entwickelten Künstlerinnen und Künstler zu dieser Zeit ein Interesse an unsichtbaren Phänomenen. Die Frage nach der Darstellung geistiger Kräfte, Musik oder Empfindung beschäftigte etwa Kunstschaffende wie Hilma af Klint, Wassily Kandinsky oder Edvard Munch.

Brätsch, die an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg lehrt, bezieht sich zum Beispiel bei ihren Tapeten-Arbeiten auf den sogenannten Rorschach-Test des Schweizer Psychiaters Hermann Rorschach (1884-1922). Der inzwischen umstrittene Test bestand aus achsensymmetrischen Tintenklecks-Motiven. Die damit verknüpften Assoziationen von Patienten sollten Rückschlüsse auf ihre unbewussten Gedanken erlauben. Brätsch vergrößerte für ihre Tapeten in Marmoriertechnik entstandene Gemälde digital und spiegelte sie achsensymmetrisch. Dadurch entstehen Muster, die an Tiere, Fossilien, Gesichter oder Schädel erinnern. Die gespiegelten Bilder in Form meterhoher Tapetenbahnen setzt die Künstlerin als immersives Gestaltungselement in der Ausstellung ein.

Die dritte Dimension der Malerei

An anderer Stelle sprengen Brätschs marmorierte Bilder die Grenzen der Malerei, indem sie in den Raum hineinwachsen. In ihren „Stucco“-Arbeiten verfestigt sie die auf flüssiger Oberfläche entstandenen Arbeiten, indem sie diese in plastische Objekte aus Gips, Pigmenten und Leim umwandelt. Außerdem schafft sie aus den marmorierten Bildern dreidimensionale Elemente aus Wabenplattenkarton, die in der Ausstellung als Sitzmöbel dienen.

Brätschs Auseinandersetzung mit der Rolle der Malerei im digitalen Zeitalter wirft auch die Frage nach Autorenschaft und Subjektivität auf. Seit 2007 entsteht ein Teil ihrer Arbeiten in Kollaborationen mit Kunstschaffenden oder Handwerkern. Zu sehen sind in der Ausstellung etwa Arbeiten des Kollektivs „KAYA“ mit Debo Eilers.

Ballett für Malerei

Mit der Kollaboration „DAS INSTITUT“ schuf Brätsch eine Installation, die die Malerei um Klang und Licht erweitert. Ihre transparenten bemalten Folien hängen im Raum und werden durch Sound- und Licht-Kompositionen von Sergei Tcherepnin sowie durch Neonlicht-Objekte von Adele Röder aktiviert. Es entstehe ein „Ballett für Malerei“, sagt Brätsch.

Kerstin Brätschs Werke waren bereits in internationalen Ausstellungen wie der Biennale in Venedig zu sehen. Die Bonner Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Munch Oslo.

Von Claudia Rometsch