Das kleine vergilbte Blatt fällt auf den ersten Blick kaum auf. Doch bei näherer Betrachtung verraten die mit schwarzen Tintenstrichen skizzierten Figuren echte Könnerschaft. Tatsächlich galt die Zeichnung „Christus und die Ehebrecherin“ schon einmal als Werk des berühmten niederländischen Barock-Künstlers Rembrandt (Rembrandt Harmenszoon van Rijn, 1606-1669). Dann aber waren die Experten lange Jahre der Meinung, das Blatt stamme lediglich aus der Werkstatt des Künstlers. Ein Forschungsprojekt am Kölner Wallraf-Richartz-Museum sorgte nun für Klarheit. „Unser Rembrandt ist jetzt ein Rembrandt“, erklärt Annemarie Stefes.
Dreieinhalb Jahre lang untersuchte die Expertin für Altmeisterzeichnungen zusammen mit anderen Fachleuten im Auftrag des Museums dessen Sammlung von Zeichnungen niederländischer Meister. Die Identifizierung des kleinen Blattes als echten Rembrandt ist eines der Ergebnisse, die das Wallraf-Richartz-Museum in einer Sonderausstellung präsentiert.
Knapp 850 Zeichnungen niederländischer Meister aus dem 15. bis 18. Jahrhundert hatten die Expertinnen und Experten unter die Lupe genommen. Unter dem Titel „Expedition Zeichnung - Niederländische Meister unter der Lupe“ sind bis zum 15. März 90 dieser Werke inklusive der Forschungsergebnisse zu sehen. Darunter sind Zeichnungen von Peter Paul Rubens (1572-1640), Hendrick Goltzius (1558-1617), Jan van Goyen (1596-1656) oder Jacob van Ruisdael (1628/29-1682).
Zahlreiche Künstlerzuschreibungen korrigiert
Die Expertinnen und Experten konnten bei 170 der untersuchten Zeichnungen die Zuschreibungen zu bestimmten Künstlerinnen oder Künstlern korrigieren oder präzisieren. Zuletzt war die Sammlung von Zeichnungen niederländischer Meister des Wallraf-Richartz-Museums vor rund 40 Jahren begutachtet worden. Seitdem hätten sich die kunsttechnischen Methoden erheblich verbessert, erklärte Museumsdirektor Marcus Dekiert. Dies habe die neuen Erkenntnisse ermöglicht.
Die Expertinnen und Experten untersuchten und bestimmten die Zeichnungen unter anderem mit Digitalmikroskopie und reflektografischen Methoden. Die Digitalisierung eröffnete den Forschenden neue Möglichkeiten. So haben sich Analysen zur Papierstruktur deutlich verbessert. Unter anderem können Wasserzeichen fotografiert werden und sind heute über Datenbanken zugänglich. Vergleiche von Werken werden mit Hilfe von KI-Software einfacher und präziser. Trotz des technischen Fortschritts spiele immer noch das Wissen und das geübte Auge von Fachleuten eine gewichtige Rolle, betont Stefes. So wurde etwa für die Zuordnung der Rembrandt-Zeichnung das Urteil dreier ausgewiesener Experten eingeholt.
Die Untersuchungen lieferten auch interessante Einblicke in den Kunstbetrieb der Zeit. So zeigt sich, dass Kölner Ansichten ein beliebtes Motiv niederländischer Meister waren. Tatsächlich bot die Domstadt im 16. Jahrhundert vielen protestantischen Künstlern aus den Niederlanden Exil, die vor der Herrschaft der katholischen Spanier geflohen waren. In Köln, das zu dieser Zeit ein Verkehrs- und Kommunikationszentrum war, fanden sie gute Arbeitsmöglichkeiten. Im späten 16. Jahrhundert stammten fast alle Kupferstecher und Verleger in der Stadt aus den Niederlanden. Weil man ihr wirtschaftliches Potential erkannte, wurden sie toleriert.
Gute Vermarktungschancen mit Wunderkind-Status der Tochter
Einer von ihnen war der Künstler und Verleger Crispijn de Passe (1564-1637), der vorübergehend in Köln lebte. Er unterrichtete auch seine vier Kinder in der Kunst des Kupferstechens, die in seiner Werkstatt arbeiteten und meist seine Entwürfe umsetzten. Vor allem seine Tochter Magdalena galt als Wunderkind. In der Ausstellung wird deutlich, wie der Vater die Bekanntheit seiner Tochter nutzte, die er letztlich als stärkere „Marke“ erkannte. So schrieb er zum Teil eigene Zeichnungen Magdalena de Passe (1600-1638) zu.
In der Ausstellung sind vier solche Blätter zu sehen, bei denen die Fachleute bislang davon ausgingen, dass sie in Wirklichkeit aus der Feder des Vaters Crispijn de Passe stammen. Nun zeigte sich aber, dass ein Blatt tatsächlich von Magdalena gezeichnet wurde. Verglichen mit den Entwürfen ihres Vaters ist die Zeichnung „Bauernfamilie mit Kuh. Der Sommer“ (1614/20) weniger detailliert. Vor allem mit den Hörnern der Kuh hatte die junge Magdalena sichtbare Schwierigkeiten.
Das Forschungsprojekt förderte auch neue Erkenntnisse über die Arbeitstechniken zutage. Es wurde geklebt, mit Deckweiß korrigiert und auch schon mal überpinselt. Jacob Jordaens etwa passte seine „Lustige Gesellschaft“ offenbar an die Wünsche eines Auftraggebers an. Der mahnende Tod in der Mitte der Zeichnung wurde durch einen eingefügten Zecher buchstäblich an die Seite gedrängt.