
Alle Menschen sind gleich, alle wünschen sich Glück, alle wollen Leid vermeiden: Diese universelle Botschaft durchzieht das Leben und Wirken von Tenzin Gyatso, des 14. Dalai Lama. Im Westen verehrt seine Anhängerschaft ihn als spirituelles Vorbild und Inbegriff von Weisheit. Zugleich bleibt er tief in der buddhistischen Tradition verwurzelt. Vor 90 Jahren, am 6. Juli 1935, kam er in einer Bauernfamilie in der damaligen tibetischen Provinz Amdo zur Welt.
Im Alter von zwei Jahren wurde er als Reinkarnation des verstorbenen 13. Dalai Lama anerkannt. 1959 floh der Dalai Lama angesichts der zunehmenden Bedrohung durch chinesische Truppen aus Lhasa ins Exil nach Indien. Seit 1960 lebt er in Dharamsala, wo auch die tibetische Exilregierung ihren Sitz hat. Die chinesischen Truppen sind im Oktober 1950 in Tibet einmarschiert, China betrachtet Tibet heute als „autonomen Teil“ seines Staatsgebiets.
Tenzin Gyatso - so sein Mönchsname - gilt weltweit als lebendes Symbol für eine Ethik des Mitgefühls. Einer seiner Grundgedanken ist, dass Menschen dann glücklich sind, wenn sie „nach dem Glück der anderen“ streben, sagte der Münsteraner Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel dem Evangelischen Pressedienst (epd): Der Dalai Lama glaube, „dass alle großen Religionen ein solches Mitgefühl fördern, aber auch hindern können.“
Der Dalai Lama sei jedoch nicht der „Papst des Buddhismus“, was immer wieder kolportiert werde, unterstreicht der Autor von religionswissenschaftlichen Standardwerken. Schmidt-Leukel: „Es gibt ja auch keinen Papst des Christentums, sondern einen Papst gibt es nur in der katholischen Kirche.“ Der Dalai Lama sei nicht einmal das religiöse Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, sondern habe eine besondere repräsentative Würdestellung.
Der 14. Dalai Lama zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten im Dialog der Religionen. Auch auf evangelischen Kirchentagen beeindruckte er viele, etwa 1993 in München. Beim ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin war der buddhistische Mönch ein wahrer Publikumsmagnet: Rund 22.000 Protestanten und Katholiken lauschten in der Waldbühne seinem eindringlichen Friedensappell.
Mit Blick auf den Buddhismus-Boom in westlichen Ländern gibt es immer wieder kritische Stimmen, die eine Vermischung von Buddhismus und Christentum ablehnen. Der Dalai Lama lehne es jedoch ausdrücklich ab, dass Menschen „leichtfertig die Religion wechseln“, weiß Michael von Brück, Religionswissenschaftler und langjähriger Gesprächspartner des Dalai Lama: „Religionen sollten voneinander lernen - das Christentum zeige den Buddhisten praktische Formen der Nächstenliebe, während Christen von Buddhisten Meditation lernen könnten.“
Der Dalai Lama betont immer wieder die Verantwortung, die jeder Einzelne für sein Leben trägt. „Frieden zum Beispiel beginnt bei jedem von uns. Wenn wir inneren Frieden empfinden, können wir in Frieden mit unseren Mitmenschen leben“, sagte er beim Empfang des Friedensnobelpreises Ende 1989 in Norwegen: „Wichtig ist, dass jeder sich ernsthaft bemüht, die Verantwortung füreinander und für unsere Umwelt ernst zu nehmen.“
Nach der Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis 1989 intensivierte der Dalai Lama seine Auslandsreisen und seinen Einsatz für die Selbstbestimmung der Tibeter, traf sich mit Staatsoberhäuptern, Außenministern und Päpsten und hielt so Tibet im internationalen Bewusstsein präsent, wie sein Biograf Mayank Chhaya bilanziert. Zudem gewann er prominente Unterstützer wie die Hollywood-Schauspieler Richard Gere, Sharon Stone und Harrison Ford. Im Jahr 2011 entschloss er sich dazu, seine politische Macht an die tibetische Exilregierung abzugeben.
Der Dalai Lama entspricht in keiner Weise dem Bild eines strengen Religionslehrers. Sein ansteckendes Lachen bei jeder Gelegenheit ist legendär. „Mit seiner überaus anziehenden und mit gütigem Witz und Selbstironie verbundenen Menschlichkeit vermittelt er ihm eigentlich völlig fremden Menschen Nähe und Verbundenheit“, so beschreibt es der Tibet-Kenner Andreas Gruschke: Tenzin Gyatso möchte in erster Linie als Mensch gesehen werden. Sein Humor sei geradezu Sinnbild für die „Heiterkeit der Seele“.
Einer tibetischen Prophezeiung zufolge soll es insgesamt siebzehn Dalai Lamas geben. Ob tatsächlich noch ein weiterer folgen wird, ist unter Experten allerdings ungewiss. Seit Jahrzehnten betont der aktuelle Dalai Lama, dass die Fortsetzung des Titels vom Willen des tibetischen Volkes abhängt. „Persönlich bin ich der Meinung, dass die Institution des Dalai Lama ihren Zweck erfüllt hat“, heißt es auf seiner offiziellen Webseite. Ziel einer Wiedergeburt sei es, die unvollendete Arbeit des Vorgängers fortzusetzen: „Sollte die Tibet-Frage weiterhin ungelöst bleiben, werde ich logischerweise im Exil wiedergeboren, um meine Arbeit fortzusetzen.“ Das könnte noch dauern. Mehrfach äußerte er öffentlich, er hoffe, 110 Jahre alt zu werden.