Die kleinen, bunten Glasperlen auf dem Objektträger im Labor von Oliver Mecking haben einen langen Weg hinter sich - räumlich wie zeitlich. „Die kobaltblaue Perle stammt aus der Levante und ist vermutlich 1.300 Jahre alt“, sagt der promovierte Chemiker und deutet auf eines der Kettenglieder. Die orangefarbene Perle daneben sei sehr wahrscheinlich in Indien hergestellt worden. Zwischen den einzelnen Glasperlen habe der mittelalterliche Juwelier vermutlich Knochenplatten aus heimischer Produktion auf eine Schnur gefädelt.
Solche und andere Herkunftsnachweise ermittelt Mecking mithilfe der Hightech-Ausrüstung im Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie am Standort Weimar. Mit einem Laser lässt er dafür kleinste Mengen aus den archäologischen Fundstücken verdampfen. Dieses Gasgemisch wird anschließend bei Temperaturen von mehr als 6.000 Grad Celsius in einem Massenspektrometer der neuesten Generation in einen Plasmazustand versetzt. Dadurch entstehen geladene Atome, die durch das Massenspektrometer gemessen werden können. So werden bis zu 60 Elemente im Glas bestimmt.
Anschließend sucht Mecking nach Vergleichsproben bekannter historischer Glashütten. Das Landesamt besitzt inzwischen Daten zur Zusammensetzung von Gläsern aus mehr als 31.000 Glasfunden seit der Bronzezeit. „Die Geräte messen die Zusammensetzung der Proben unglaublich genau“, sagt der Chemiker: „Damit könnte ich nachweisen, ob jemand einen oder zwei Zuckerwürfel in den Chiemsee geworfen hat.“
Die Anfragen, die die Kollegen im Landesamt an das Archäometrielabor stellen, sind naturgemäß anderer Art. Im Falle bei Grabungen gefundener Gläser interessiert sich die Forschung vor allem für Alter und Herkunft des Materials. „Schon aus bronzezeitlichen Fundstätten im Freistaat konnten wir Glas nachweisen, das in Mesopotamien hergestellt wurde“, sagt Mecking. Später seien Rohgläser aus Ägypten und der Levante nach Mitteldeutschland importiert worden.
Weil für die Weiterverarbeitung und das Recycling des Glases deutlich niedrigere Temperaturen notwendig waren als für dessen Herstellung, wurden in Mitteleuropa bereits ab der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends Gegenstände und Schmuckstücke auch dort angefertigt. Das heutige Glasland Thüringen - mit Spezialgläsern für Medizin und Optik, Haushaltsgläsern und dem berühmten Lauschaer Weihnachtsschmuck - stieg hingegen erst spät in die Glasherstellung ein.
„Die ersten bekannten archäologischen Befunde für Glasöfen in Thüringen datieren ins zwölfte Jahrhundert“, berichtet der 56-jährige Laborleiter. Das sei insofern bemerkenswert, als am Rhein bereits seit dem achten Jahrhundert Glas produziert wurde. Doch Mitteldeutschland bezog über 300 weitere Jahre hinweg sein Glas weiter aus Mesopotamien, dem Zweistromland an Euphrat und Tigris, das heute überwiegend zum Irak gehört.
Mecking erklärt dies mit der slawischen Bevölkerung, die nach der Besiedlung durch die germanischen Franken und Sachsen in der Region weiterlebte - und ihre Handelsbeziehungen beibehielt. Seine Untersuchungen zur Handelsware Glas zeigen, dass sich Mitteldeutschland noch lange politisch nach Westen, wirtschaftlich jedoch auch weiter nach Osten orientierte.
Erst mit der steigenden Nachfrage nach dem transparenten Baustoff, insbesondere für Kirchenfenster, wurde dort im Umfeld der Klöster mit der Glasproduktion nach dem Verfahren begonnen, wie es im Westen des Heiligen Römischen Reichs üblich war. „Außerdem zeigen die Proben, dass die Produktionsstätten aufgrund des Holzmangels gezwungen waren, immer weiter ostwärts zu wandern“, erzählt Mecking. Für die Herstellung von einem Kilo Thüringer Rohglas wurden damals stolze 100 Kilo Holz benötigt.
Eines bleibt für Mecking trotz aller Hightech-Geräte bislang unbeantwortet: „Was haben die Thüringer über die Jahrtausende wohl für das teure Glas bezahlt?“, fragt er: „Frauen? Sklaven? Felle?“ Weitere Forschungen bleiben deshalb notwendig, betont der Chemiker.