Goethe in Weimar: Ein Leben zwischen Dichtung und Dienst
Vor 250 Jahren kam der Dichter in Weimar an - und blieb für immer
Weimar (epd).

Nach seiner ersten Begegnung mit Weimars Erbprinz Carl August hielt der junge Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) ein Jahr lang den Kontakt aufrecht. Immer wieder brachte er sich mit Briefen ins Gespräch - denn er hoffte auf eine konkrete Einladung an den herzoglichen Hof. „Goethe wollte weg aus Frankfurt, suchte eine neue Lebensalternative“, erläutert Jochen Golz von der Weimarer Goethe-Gesellschaft.

Im Oktober 1775 trat der Dichter eine Reise nach Italien an. Bereits auf dem Weg gen Süden erreichte ihn in Heidelberg dann die ersehnte Nachricht: Carl August lasse ihm eine Kutsche schicken. Am 7. November 1775, vor 250 Jahren, traf Goethe in der kleinen Residenzstadt im Thüringischen ein - und sollte bis zu seinem Tod bleiben.

Weimar war damals ein Ort zwischen Dorf und Stadt mit rund 6.000 Einwohnern. Die Straßen waren voller Matsch, viele Bewohner lebten von Handwerk und Landwirtschaft. Am nördlichen Rand überragte die ausgebrannte Ruine des Residenzschlosses die Bürgerhäuser.

Seit seinem Durchbruch mit „Die Leiden des jungen Werther“ war der 26-jährige Goethe zwar ein gefeierter Schriftsteller, doch machte sich das kaum finanziell bemerkbar. „Ein Urheberrecht gab es nicht, und den Profit machten bestenfalls die Verleger“, sagt Golz. Die Einladung des Anfang November 1775 zum Herzog ernannten Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach war also verlockend, Goethe hoffte fernab von Frankfurt sein Glück zu machen, vielleicht sogar eine Anstellung bei Hofe zu bekommen.

Die Voraussetzungen brachte er mit: politisches Interesse, juristische Bildung und - so Zeitgenossen - Charisma. Schon bei der ersten Begegnung 1774 hatten er und Carl August schnell einen Draht zueinander gefunden. Grundlage ihres ersten Gesprächs waren die „Patriotischen Phantasien“ des Osnabrücker Autors Justus Möser, der die Vorzüge kleiner Staatswesen und lokaler Wirtschaftskreisläufe pries. In der Maxime, am Bewährten festzuhalten und dem Neuen aufgeschlossen gegenüberzutreten, waren sich Goethe und Carl August einig. Sie wollten diese Ideen in dem nur 100.000 Einwohner zählenden und territorial stark zersplitterten Herzogtum umsetzen.

Laut der Präsidentin der Stiftung Weimarer Klassik, Ulrike Lorenz, fand Goethe in Weimar einen Ort, an dem Denken, Kunst und Leben zusammengehörten. So sei er geblieben, unglaubliche 57 Jahre lang. Zunächst aber deutete wenig darauf hin.

„Goethe kam als Besucher“, sagt Golz. „Seine finanziellen Verhältnisse waren ungeklärt.“ Erst als Carl August im April 1776 das Gartenhaus im Park an der Ilm erwarb und Goethe schenkte, besserte sich die Lage. Damit konnte er das Bürgerrecht erwerben. Im Juni 1776 ernannte ihn der Herzog zum Mitglied des Geheimen Consiliums mit stattlichen 1.200 Talern Gehalt. 1777 folgte die Leitung des Ilmenauer Bergbaus, ab 1779 der Vorsitz der Wegebau- und Kriegskommission, 1782 die Aufgabe zur Sanierung der Staatsfinanzen.

Wenn es einen herzoglichen Plan gegeben haben sollte, dann ging er wohl auf. Schnell erkannte der nunmehrige Hofbeamte Goethe, dass er tief in die Angelegenheiten des Herzogtums eingebunden war und wohl nicht mehr aus Weimar wegkommen würde. Erst 1786 sollte er - inzwischen zu Johann Wolfgang von Goethe geadelt - mit seiner Italienreise seinen Verwaltungsgeschäften zumindest zeitweise entfliehen können.

Seit seiner Ankunft in Weimar hatte er kein großes Werk mehr vollendet. Die Reise gilt als Beleg einer künstlerischen Krise, die er aber spätestens im Februar 1788 überwunden hatte: „Täglich wird mir's deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin und daß ich die nächsten zehen Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf, dieses Talent exkolieren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ“, schrieb Goethe.

Er, der niemals vorhatte von seiner Schriftstellerkunst zu leben - zu viele Freunde hatte er scheitern sehen - wollte sich künftig stärker der Kunst widmen. Doch wie?

Golz sagt: „Hier handelte Carl August einmal mehr sehr klug.“ Denn nach seiner Rückkehr aus Italien entließ er Goethe keineswegs aus den Hofgeschäften, sondern betraute ihn mit der Leitung des neu gegründeten Hoftheaters, der Zeichenschule und der Aufsicht über die Schlossbaukommission. Auch in den Angelegenheiten der Universität Jena war Goethe künftig beratend tätig - und sollte in seinen kommenden Jahren Weimar zum kulturellen Zentrum im deutschsprachigen Raum machen.

Für die Präsidentin der Stiftung Weimarer Klassik, Ulrike Lorenz, ist der 7. November 1775 daher in jedem Fall ein Grund zum Feiern: „Ohne Goethe und seine weltweiten Netzwerke hätte Weimar den Charakter einer kleinen Residenzstadt behalten - ohne den geistigen Glanz der Spätaufklärung und des Humanismus, ohne das internationale Renommee und die zahlreichen Schauplätze, die heute zum Unesco-Welterbe gehören.“

Von Matthias Thüsing (epd)