Putzig, frech und schlau
Vor 90 Jahren wurden die ersten Waschbären in Deutschland ausgesetzt

Mit zwei am nordhessischen Edersee ausgesetzten Pärchen begann vor 90 Jahren die Einbürgerung der Waschbären in Deutschland. Mehrere Hunderttausend sollen es heute sein - zur Freude mancher, zum Ärger vieler.

Kassel, Edersee (epd). Ein offenes Kellerfenster. Ein gefüllter Futternapf. Ein Fremder mümmelt in der Küche, was ihm nicht zusteht. Zornig fauchend, mit empört aufgestelltem Fell hockt der Kater des Hauses daneben. So schildert eine Kasselerin ihre nächtliche Begegnung mit einem Waschbären. Erlebnisse wie diese gibt es in der nordhessischen Großstadt zuhauf. Der putzige Kleinbär ist dort in großer Zahl heimisch.

Der Landesjagdverband Hessen geht in besonders betroffenen Stadtteilen von mehr als 100 Tieren auf 100 Hektar aus. Normal sei eine geschätzte Dichte von sechs bis acht Tieren, etwa in einem natürlichen Lebensraum wie dem Müritz Nationalpark, sagt Verbandssprecher Markus Stifter. Genaue Zahlen oder seriöse Schätzungen zur Waschbären-Population liegen nach Angaben der Stadt Kassel aber nicht vor.

Ihr Bestand ist jedoch so hoch, dass Kassel sich als „Waschbärenhauptstadt Europas“ bezeichnet. Sogar auf ihrer Homepage werden Interessierte zum Thema fündig, wo der Bär mit Ringelschwanz und schwarzer Augenmaske als pummelige Gestalt beschrieben wird. Er sei in der Dämmerung und nachts aktiv, ein sehr guter Kletterer, aber miserabler Springer.

Manche freut's, die meisten ärgert's. In Kassel klagen einige Hausbesitzer über unerwünschte Untermieter, die enorme Schäden anrichten: Die findigen Tiere nisten sich gern in Dachböden ein, reißen Dämmungen heraus, gründen dort Familien und hinterlassen ihre stinkende Notdurft. In Gärten fressen sie Obstbäume leer und räumen Vogelnester aus, oder sie plündern frech Mülltonnen.

Ihre Einbürgerung in Deutschland beginnt vermutlich am 12. April 1934 mit zwei am nordhessischen Edersee ausgesetzten Waschbären-Pärchen. Ein dort ansässiger Pelztierzüchter bot sie damals dem Forstamt Vöhl an, weil die Weltwirtschaftskrise die Pelztierzucht unrentabel gemacht hatte. Mit den nun nicht mehr benötigten Gehegetieren wollte man die Fauna bereichern.

Eine weitere Ausgangspopulation hat es in Deutschland einige Jahre später in Brandenburg gegeben, wie Berthold Langenhorst vom Naturschutzbund (NABU) Hessen erklärt. Dort waren 1945 einige Exemplare aus einer Pelztierfarm geflohen. Seitdem breiten sich die aus Nordamerika stammenden Tiere in Deutschland aus. Das Bundesamt für Naturschutz schätzt die Anzahl auf mehrere Hunderttausend.

Der Edersee bietet ihnen wie andere Regionen Hessens, Brandenburgs oder Niedersachsens die perfekte natürliche Umgebung: viel Wald, viel Wasser. „Passende Lebensbedingungen, um sich nahezu ungestört fortpflanzen zu können“, sagt Försterin Sari Führer vom Nationalpark Kellerwald-Edersee. Auch natürliche Fressfeinde existierten in Nordhessen nicht, stattdessen ein reichhaltiges Speisenangebot für eine Spezies, die nicht sonderlich wählerisch ist: Würmer, Insekten, Weichtiere, Fische, Kleinsäuger und Obst.

Der Biologe Langenhorst geht davon aus, dass der Kleinbär bald ganz Deutschland besiedeln wird. Die Lebensbedingungen seien optimal - auch in Siedlungen, wo sie Nahrung in Hülle und Fülle finden wie Lebensmittelreste, Futternäpfe, Kompost und Fallobst.

Inzwischen holen sich immer mehr Menschen Rat, weil sich die Vierbeiner bei ihnen häuslich niederlassen. Um ihnen das Leben schwerer zu machen, empfiehlt der NABU unter anderem Mülltonnen, Dachböden und Keller zu sichern, kein Tierfutter draußen stehen zu lassen, Essensreste weder auf den Kompost noch in öffentliche Mülltonnen zu werfen. Außerdem sollten sie nicht gefüttert werden, wie manche es tun.

Langenhorst zufolge gehören Waschbären zu den intelligentesten Tieren der Welt: „Sie können Gläser und Dosen aufdrehen, die Gefahr durch Menschen einschätzen und wissen, dass man Bier trinken kann, wenn man die offene Flasche umstößt.“ Der „Hauswaschbär“ der Jugendburg Hessenstein am Edersee drehe jeden Abend seine Runde über den Hof, „um zu sehen, ob die Kinder etwas Fressbares hinterlassen haben“. Einmal sei er in die nicht verriegelte Tonne für Essensreste gehopst. Da er an den rutschigen Wänden nicht mehr hochkam, habe ihn der Hausmeister am Morgen darin „wimmernd und rotverschmiert von Nudelsauce gefunden“.

Informationen Stadt Kassel zum Waschbär: http://u.epd.de/2yfb

Informationen zum Umgang mit Waschbären: http://u.epd.de/2yfc

www.nationalpark-kellerwald-edersee.de

Helga Kristina Kothe (epd)