
Das lebensgroße Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) zeigt Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) lässig auf einer umgestürzten ägyptischen Säule irgendwo in der römischen Campagna. Halb sitzend, halb liegend blickt der Dichter auf diesem Werk ernst in die Ferne. Er ist dargestellt als ein durchaus stattlicher Mann mit grauem Hut in einem hellen Reisemantel. Doch die Körperfülle täuscht, weiß Laura Petzold. Der Mantel trage etwas auf. „Goethe war nur etwa 1,70 groß und hatte - für mich überraschend - schmale Schultern“, sagt die Restauratorin der Klassik Stiftung Weimar.
Zwischen 2020 und 2025 hat die Expertin für historische Textilien die fast 20 überlieferten Kleidungsstücke Goethes untersucht und - wo notwendig - behutsam restauriert. Alle Stücke stammten aus den späteren Lebensjahren Goethes, sagt sie. Vermutlich seien sie nach seinem Tod zunächst in einem Kleiderschrank einfach nur verwahrt und erst später bewusst in die Sammlung des Goethehauses aufgenommen worden. Für die These einer zunächst zufälligen Überlieferung spricht die Unterschiedlichkeit des Konvoluts. Die Sammlung umfasst Hosenbänder ebenso wie einen Frack, eine Hofuniform, eine Hose, Hausmäntel, Jacken oder eine Leibbinde. Alle Stücke stammen aus der Zeit von etwa 1810 bis zu Goethes Tod 1832.
Cremefarbene Hausjacke
Die Sammlung verrät dabei nicht nur einiges über die Statur des Dichterfürsten, sondern auch über seinen Umgang mit Kleidung und wie er sie nutzte. Laura Petzold tritt an eine cremefarbene Hausjacke, gelagert in einem großen Archiv-Karton und eingeschlagen in schadstofffreien Polster- und Verpackungsmaterialien. „Das ist ein Kleidungsstück, das Goethe ausschließlich zu Hause getragen hat“, sagt sie. Die Expertin steht vor einem einfachen Kleidungsstück aus Baumwolle, Wolle und Leinen. Das weist auch nach 200 Jahren noch deutliche Spuren des Trägers, wie beispielsweise Flecken, auf.
„Das ist das Interessante an historischer Kleidung“, sagt die Direktorin Museen der Klassik-Stiftung, Annette Ludwig. „Anders als etwa Gemälde, die schon damals als Kunstwerke gekauft und gesammelt wurden, war Kleidung zu dieser Zeit ein reiner Alltagsgegenstand.“ Es habe Stücke gegeben, mit denen man sich in der Öffentlichkeit gezeigt habe. „Und kam Goethe dann nach Hause, schlüpfte er in diese einfache Jacke vor uns.“ Und für die kalte Jahreszeit in den schlecht beheizten Wohnungen des 19. Jahrhunderts standen ihm zwei Hausmäntel aus dicker angerauter Wolle zur Verfügung.
Kleidermotten im Haus am Frauenplan
Die Sammlung öffnet der Restauratorin Petzold breiten Raum für wissenschaftliche Forschungen. Die Textilexpertin erfasst die Feinheit des Gewebes bis zur Garndrehung und bestimmt alle verwendeten Materialien. Inzwischen hat sie die Restaurierung und auch die anschließende Digitalisierung der meisten Kleidungsstücke abgeschlossen. Im Internet werden die Stücke auf eigens angefertigten Figurinen, einer Art Torso, gezeigt. Sie weisen exakt die Maße der unterschiedlichen Kleidungsstücke und die Körperhaltung ihres Trägers auf - inklusive eines kleinen Bauchansatzes. „Kleidung kam nicht von der Stange, sondern wurde maßgefertigt“, sagt sie. Entsprechend lange haben die Stücke halten müssen.
Anhand von ebenfalls überlieferten Quittungen aus dem Haushalt Johann Wolfgang von Goethes kann Petzold nachweisen, dass Näherinnen regelmäßig Arbeiten an Kleidungsstücken im Haus am Frauenplan erledigt haben. Der Grund für die Beauftragung der Näherinnen war dabei oftmals wohl ein sehr profaner: Auch Goethes Haushalt schlug sich mit Kleidermotten herum. Doch selbst aus diesem historischen Mottenbefall erhält Petzold noch Hinweise zur Verarbeitung der Kleidung. Sie zeigt auf eine Stelle im Schulterbereich der Jacke: „Hier ist weißer Faden noch erhalten und ein gelblicher Faden ist verschwunden. Das deutet darauf hin, dass wir hier zwei verschiedene Fasern haben. Denn die Motten haben nur die Wolle gefressen.“