
Annegret Soltau ist in der Ausstellung „Unzensiert“ in Frankfurt am Main doppelt präsent. Als Künstlerin, deren Werke die Schau zeigt, und als Objekt und Medium. Soltau nutzt vorwiegend ihren eigenen Körper für ihre Fotovernähungen. Vom 8. Mai bis 17. August gibt das Städel-Museum einen Einblick in das Gesamtwerk der Künstlerin.
Werke der 1946 in Lüneburg geborenen Vorreiterin feministischer Kunst seit den 1970er Jahren seien weltweit in den großen Museen zu sehen, eine umfassende Retrospektive aber habe es noch nie gegeben, sagt Museumsdirektor Philipp Demandt. Das Museum unterstreiche damit seinen Anspruch, wegweisende Künstlerinnen sichtbar zu machen.
Neue künstlerische Formensprache
Identität, Körper und Feminismus sind die zentralen Themen in Soltaus Arbeit. Sie nutzt dazu Fotografien - meist von sich selbst oder von Angehörigen - zerreißt die Bilder und näht sie mit schwarzem Garn und großen Stichen neu zusammen. „Ich nehme mich selbst zum Modell, weil ich mit mir am weitesten gehen kann“, sagt die in Darmstadt lebende Künstlerin.
„Mit ihren radikalen Fotovernähungen hat sie eine völlig neue künstlerische Formensprache geschaffen und den weiblichen Körper als Medium der Selbstermächtigung etabliert“, sagt Kuratorin Grosser. Die Schau, die mehr als 80 Zeichnungen, Fotografien, Videos und Installationen umfasst, ist chronologisch aufgebaut, weil die Werke eng mit dem Leben der Künstlerin verknüpft seien, fügt sie hinzu.
Dekonstruktion des Körpers
Ihre erste Schwangerschaft 1977 etwa integriert Soltau mit verschiedenen Arbeiten in ihre Kunst. Sie romantisiert nicht. Sie zeigt unter anderem eine Videoarbeit, in der sie mit Angst und Zweifeln kämpft, ihrer Zerrissenheit und auch gesellschaftlichen Erwartungen an die Rolle der Mutter. Und sie montiert einen Bildschirm, auf dem das Video läuft, auf einem Bild zwischen den gespreizten Beinen einer Frau, die mit einem Tuch bedeckt auf einem Tisch liegt.
Soltau eckt an mit ihren Arbeiten. Die Dekonstruktion des Körpers wirke in der Fotografie, dem Abbild eines Menschen, besonders schmerzhaft, erläutert Kuratorin Grosser. Das Zerreißen eines Fotos habe etwas Aggressives.
„Ästhetik des Hässlichen“
Vor allem in den 1990er bis 2010er Jahren erfährt Soltau immer wieder Zensur. Eines der mehrfach verhüllten oder aus Ausstellungen verbannten Werke ist Teil der Serie „generativ“. Es zeigt Soltau, ihre Tochter, Mutter und Großmutter. Einzelne Partien der nackten Körper hat Soltau neu zusammengefügt. Die Tochter hat die Brüste der Großmutter und umgekehrt. Damit verwebt Soltau die Generationen miteinander, zeigt die einstige Jugend der Großmutter und das kommende Alter der Tochter.
Der Verleger Siegfried Unseld (1924 bis 2002) vom Suhrkamp Verlag mochte die Serie „generativ“ nicht. Er stoppte 1995 kurz vor Drucklegung des Buches „Von der Auffälligkeit des Leibes“ den Abdruck von Werken der Serie und sprach von einer „Ästhetik des Hässlichen“.
Das Wesen von Identität
Auch die Frage nach dem Wesen von Identität zieht sich durch Soltaus Schaffen. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Die Suche nach ihm und ihrer Identität thematisiert sie in einem Zyklus mit Porträts von sich selbst. Ihr Gesicht allerdings hat sie aus den Bildern entfernt und durch Abbildungen behördlicher Schreiben ersetzt, die ihre Suche nach dem Vater dokumentieren.
In der Werkgruppe „Mutter-Glück“ macht Soltau die Erweiterung der eigenen Identität durch ihr Muttersein zum Thema. Fragmente von Fotografien von ihr und ihren Kindern sind ineinander vernäht und machen die Präsenz im Leben des jeweils anderen deutlich. Im Zyklus „Symbiose“ beugt sich Soltau zunächst schützend über ihren kleinen Sohn. Sie bearbeitet die Bilder immer weiter, bis die zwei Figuren zu einer verschmolzen sind.