Künstlerviertel im kenianischen Slum: "Hier fühle ich mich frei"
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Saviour Juma arbeitet im "Art Sun Valley Collective" in Kibera an einem seiner Werke.
Nairobi (epd).

Am Straßenrand fischt ein Mann frisch frittiertes Gebäck aus dem heißen Öl. An jedem zweiten Haus sind Graffiti zu sehen - ein Bus, ein bunter Vogel, ein Frauengesicht. Dazwischen liegen Künstlerateliers. Die Straße am Rand des Slums Kibera ist wohl eine der buntesten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Seit 2023 organisieren sich hier Künstlerinnen und Künstler gemeinsam im „Kibera Arts District“, um Künstlern aus dem Slum eine Bühne zu geben, Austausch zu ermöglichen und Kunst als Karriere zu etablieren. Ein Glasbläser fertigt Trinkgläser, Krüge und Perlen. Die Schweißer gegenüber arbeiten an Tierfiguren, wenn nicht - so wie an diesem Sonntagvormittag - der Strom ausgefallen ist.

In einem Raum, gebaut aus Metallplatten auf einem Betonfundament, sitzt der 14-jährige Hillary und mischt konzentriert Acrylfarben, mit denen er sein Bild vom Vortag fertigstellen will. Er ist an diesem Morgen der Erste in dem Atelier. „Ich bin gerne hier“, sagt er, „hier fühle ich mich frei.“ Nachmittags kommen hier oft bis zu 30 Kinder gleichzeitig zusammen, wie er erzählt. Frei zugängliche Orte, an denen Kinder sich einfach aufhalten und beschäftigen können, gibt es im Slum nur wenige. Jeden Nachmittag unterrichten erfahrene Künstler Mal- und Zeichentechniken, gratis. Finanziert wird das Material über Spenden.

Zwei Euro Tageslohn

Zu Fuß braucht Hillary etwa eine halbe Stunde von seinem Zuhause, wo er mit seinen Eltern und drei Geschwistern lebt. Rund eine Million Menschen leben in Kibera, der Großteil ohne fließend Wasser und direkte Stromversorgung. Viele arbeiten in den reicheren Stadtteilen und versuchen zum Beispiel als Tagelöhner auf Baustellen, etwas Geld zu verdienen - meist sind es etwa zwei Euro für einen Tag Arbeit.

Das Malen motiviert ihn, wie Hillary erzählt. Früher wollte er Soldat werden, jetzt würde er gerne Künstler werden. Dafür gibt es im Kibera Arts District viele Vorbilder. Auf seinem Bild, das mit Klebefilm an der Wand befestigt ist, sind zwei Gestalten zu sehen. Die Stimmung ist düster. Daneben hängt das Porträt einer Frau, das er in der Woche zuvor mit Kohle gezeichnet hat.

Schon von weitem zu sehen ist die Galerie, die 2024 mit Unterstützung der US-amerikanischen Organisation „House of Friends“ gebaut wurde: Im Volksmund wird sie nur das „Weiße Haus“ von Kibera genannt. Heute findet dort eine Pop-Up-Ausstellung statt, in der es um sexualisierte Gewalt und den Widerstand dagegen geht. Ein Teil der Künstler und Künstlerinnen kommt aus dem Slum Kibera, andere von außerhalb.

Gedichtrezitationen und Trommelrhythmen

Gerade rezitiert ein Mann ein Gedicht. Kinder schauen immer wieder neugierig durch die Tür, manche bleiben eine Weile dabei, bevor sie weiterziehen. „Wir wollen kreative Räume schaffen. Das hat schon Veränderung gebracht, weil die Leute hier das Projekt als ihr eigenes sehen“, sagt Patrick Othieno. Der 36-Jährige hilft ehrenamtlich bei der Verwaltung des Kunstbezirks und bietet Führungen für Touristen an. Mit den Einnahmen aus den Touren kauft das Team Materialien, Farben, Pinsel für die Kinder - und manchmal auch für die Künstler, wenn das Geld am Ende des Monats knapp ist.

Trommelrhythmen klingen aus einem der vielen kleinen Kirchenräume, als ein Mini-Van sich seinen Weg durch das geschäftige Treiben bahnt. Aus dem Auto steigt eine französische Familie, die gerade in Kenia Urlaub macht und die Patrick Othieno in Empfang nimmt. Die erste Station machen sie bei dem Glaskünstler, der gerade bunte Glasperlen in seinem mit Gas betriebenen Ofen anfertigt. Dann geht es zu den Schweißern, bei denen es noch immer keinen Strom gibt, dafür spielen die Kinder der Familie eine Runde mit bei dem Brettspiel, mit dem sich die Künstler ihre Zeit vertreiben.

Weiter geht es zum Studio des „Arts Sun Valley Collective“. Die Tür ist bunt bemalt, in einem ähnlichen Mosaikstil wie auch die Kunst im Innenraum. Saviour Juma ist 22 Jahre alt und hat schon als Grundschulkind angefangen, sich in Kunst auszudrücken. Nach der Gewalt, die nach den Wahlen 2008 durch das Land und auch durch den Slum Kibera ging, fand er in seinen Collagen und Gemälden Wege, seine Gefühle und Erfahrungen zu verarbeiten, wie er berichtet.

Recycelte Materialien

Auch weil Materialien teuer sind, improvisieren und experimentieren Saviour Juma und seine Künstlerkollektivkollegen mit recycelten Materialien. Vor mit allem Bierdosen: Durch das Erhitzen über Feuer bekommen sie innen eine goldene Farbe, die Juma besonders schätzt. Eine seiner neuesten Collagen heißt „Golden Opportunities“, goldene Chancen. Aber dazwischen sind auch rostbraune Metallteile zu sehen. Sie stehen für die verrosteten Bleche von Kibera und die Herausforderungen, die das Leben hier mit sich bringt.

Für viele Jugendliche in Kibera gibt es nach dem Ende der Schulzeit wenig Möglichkeiten. Viele versuchen, sich mit Tagelöhnerjobs über Wasser zu halten. Doch nicht alle schaffen es. Künstler wie Juma, die sich einen Ruf gemacht haben und von der Kunst leben können, sind Vorbild. Der Kibera Arts District gibt ihnen eine Bühne - und Verbindungen in die ganze Welt.

epd video: Kunst aus den Slums

Von Birte Mensing (epd)