Bundesregierung lehnt Wiedergutmachung für ehemalige Kolonien ab
Berlin (epd).

Die schwarz-rote Bundesregierung bekennt sich zur Aufarbeitung des Unrechts im Kolonialismus, lehnt Wiedergutmachungen als Beitrag dazu aber ab. „Der Begriff der Wiedergutmachung im Völkerrecht ergibt sich aus der Verletzung einer internationalen Verpflichtung“, heißt es in einer Antwort der Regierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. „Eine solche Verpflichtung bestand zur Zeit des begangenen Unrechts nicht.“

Die Abgeordnete Awet Tesfaiesus kritisierte, Schwarz-Rot verstecke sich bei der Übernahme historischer Verantwortung „hinter formalistischen Argumenten“. Der Historiker Jürgen Zimmerer sagte dem „Tagesspiegel“: „Diese Regierung interessiert sich nicht für das koloniale Erbe.“

Völkermord im heutigen Namibia

Die Bundesregierung verwies in ihrer Antwort unter anderem auf die 2021 getroffene Vereinbarung mit Namibia, die eine Zahlung von 1,1 Milliarden Euro zur Unterstützung der Nachfahren der Herero und Nama vorsieht. 1,05 Milliarden Euro sollen für ein Programm für Wiederaufbau und Entwicklung sowie 50 Millionen Euro für ein Programm für Versöhnung bereitgestellt werden. „Die Gespräche über die Umsetzung der beiden Programme einschließlich des zeitlichen Rahmens sind noch nicht abgeschlossen“, erklärte das Auswärtige Amt.

Von 1904 bis 1908 wurden in Namibia etwa 80 Prozent des Herero-Volkes und die Hälfte der Nama von deutschen Streitkräften getötet. Schätzungen gehen von 100.000 Opfern aus. Deutschland hatte Namibia von 1884 bis 1915 in Besitz genommen. Die Bundesregierung erkannte die Gräueltaten 2021 als Völkermord an.

„Konservativer Rollback“

Die Eigentumsübertragung von mehr als 1.000 Benin-Bronzen aus deutschen Sammlungen an Nigeria 2022 sei „ein positives Kapitel in der deutsch-nigerianischen Zusammenarbeit“, erklärte die Bundesregierung weiter. Sie sehe sich „in der Verantwortung, das unter deutscher Kolonialherrschaft begangene Unrecht aufzuarbeiten“. Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte sei unbestrittener Teil der Erinnerungskultur in Deutschland. Das „Konzept der Wiedergutmachung“ sei aber aus den rechtlichen Gründen „im Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands nicht anwendbar“.

Der Historiker Zimmerer von der Universität Hamburg kritisierte: „Würde man das konsequent zu Ende denken, gäbe es ja auch keine Wiedergutmachungsleistungen für den Holocaust. Da wird aus meiner Sicht mit zweierlei Maß gemessen.“ In Deutschland habe es beim Thema Kolonialismus lange eine „völlige Amnesie“ gegeben. Seit etwa 2015 habe sich das Interesse verstärkt, Höhepunkt seien die „Black Lives Matter“-Proteste 2021 gewesen. „Doch seitdem erleben wir einen konservativen Rollback“, erklärte der Wissenschaftler.

Die Grünen-Politikerin Tesfaiesus erklärte, die Bundesregierung verschließe die Augen vor einer Wahrheit, die die ganze Welt kenne: „Die Axt vergisst ihr Werk. Der Baum erinnert sich.“ Damit verhindere die Bundesregierung, dass man Deutschland in allen Fragen der Verantwortung international als ehrlichen Verhandlungspartner wahrnehme, sagte sie dem epd.