Menschen mit geistiger Behinderung von Trauer nicht ausschließen
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"Kraftkreis" als Hilfe für eine Trauernde im Trauercafé für Erwachsene mit einer geistigen Behinderung (Archivbild).
Aachen, Freiburg (epd).

Sie wollten noch Abschied nehmen und ihren Mitbewohner besuchen, der auf der Intensivstation in einer Klinik lag. Aber dann kam die Nachricht, dass der 58-jährige Mann bereits gestorben war. „Es war dann unsere Aufgabe, den Menschen zu erklären, dass ihr Bekannter oder Freund jetzt nicht mehr wiederkommt“, erzählt Magdalena Magdzinska. Sie leitet die Tagesstrukturgruppe im Haus Siegel der Lebenshilfe in Aachen, in dem mehr als 40 Menschen mit Behinderung leben.

Die Mitarbeitenden haben dann einen Stuhlkreis gebildet und den Bewohnerinnen und Bewohner erklärt, was passiert ist. „Das musste in einfacher Sprache passieren, damit es verständlich und nachvollziehbar ist“, erläutert Magdzinska. Worte, die sonst oft im Trauerfall gebraucht werden, seien meist nicht angebracht. „Menschen mit Autismus kann man nicht sagen, eine Person ist gegangen oder eingeschlafen“, erklärt sie. Solche Metaphern könnten verwirrend sein.

Lebenshilfe hat Leitfaden entwickelt

Die Lebenshilfe hat einen Leitfaden entwickelt, der in einfachen Worten den Umgang mit Trauer und Tod beschreibt. Dort heißt es zum Beispiel: „Jeder Mensch muss einmal sterben. Der Tod gehört zum Leben. Sterben heißt: Die Organe in unserem Körper hören auf zu arbeiten.“

Wie Menschen mit geistiger Behinderung auf die Konfrontation mit dem Tod reagieren und wie sie trauern, ist laut Magdzinska unterschiedlich. „Das hängt von der Art der geistigen Behinderung, dem emotionalen Entwicklungsstand oder auch der psychiatrischen Diagnose ab.“ Als die Nachricht vom Tod des Mitbewohners im Haus Siegel eintraf, hätten viele bitterlich geweint. Ein Mann habe mit den Fäusten an die Wand getrommelt, andere waren sofort sehr traurig und mussten getröstet werden.

Fähigkeit zu trauern wird oft aberkannt

„Behinderungen sind individuell, Menschen sind individuell, Trauerprozesse sind individuell“, sagt Anna Tonzer, die als Sozialarbeiterin und Trauerbegleiterin bei der Caritas Freiburg arbeitet. Sie betreut Menschen mit kognitiven Einschränkungen im Trauerfall, bietet auch Gesprächskreise an und hilft dabei, den Verlust eines nahestehenden Menschen zu bearbeiten. In den Gruppen wird aber auch viel gemalt und gestaltet, um mit den Gefühlen umzugehen. Den Trauerprozess in einfacher Sprache für Menschen mit Behinderungen hat sie in dem Buch „Monika und Bilder voller Liebe“ beschrieben.

In ihrer Praxis erlebt Tonzer immer wieder, dass Menschen mit geistiger Behinderung von Trauerprozessen ausgeschlossen werden. „Dann heißt es: der oder die versteht das doch nicht“, berichtet sie. Menschen mit geistiger Behinderung werde oft die Fähigkeit zu Trauer aberkannt, sie könnten dann nicht an Beerdigungen teilnehmen oder hätten keine Möglichkeit, sich zum Beispiel im Hospiz zu verabschieden. Menschen mit kognitiven Einschränkungen würden von Themen wie Sterben, Tod und Trauer oft noch geradezu ferngehalten, heißt es bei den Maltesern.

Gedenkfeier noch am Todestag

Dabei spielen Rituale eine große Rolle, wenn es darum geht, Tod und Abschied bei geistiger Behinderung zu verdeutlichen. Dirk Sonnet, Bereichskoordinator und ein Ansprechpartner für Sterbebegleitung in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld bestätigt das. In seinem Wohnkomplex leben rund 130 Menschen mit Behinderungen, die fast alle über 60 Jahre alt sind. „Die Bewohner kennen sich teilweise seit Jahrzehnten, und wenn ein Mensch stirbt, gibt es immer eine Gedenkfeier am selben Tag“, berichtet er. Damit werde deutlich gemacht, dass ein Mensch für immer gegangen ist - und alle erhielten die Möglichkeit, sich zu verabschieden.

Die Bedeutung von solchen Ritualen bestätigt sein Kollege Diakon Stefan Warmuth, der als Bereichskoordinator und Beauftragter für geistliches Leben Tagesgestaltende Angebote in Bethel betreut. „Bei uns gibt es bei einem Todesfall eine Andacht im Haus, wenn einige den Weg zum Friedhof nicht schaffen, und im Eingangsbereich wird ein Bild des Verstorbenen aufgestellt“, erläutert er. Es sei immer wichtig, mit den Menschen über das Geschehen und ihre Gefühle zu reden - und möglicherweise mit Bildern zu verdeutlichen, was geschehen ist.

Beim Haus Siegel in Aachen war die Beerdigung des Bewohners ein zusätzliches Ritual, an dem auch sieben Menschen mit geistiger Behinderung teilnahmen: „Sie haben den Sarg gesehen, das Kreuz und die Predigt gehört“, erläutert Magdalena Magdzinska. Es sei eine normale Beerdigung gewesen - und alle Anwesenden hätten auf ihre eigene Art getrauert.

Von Michael Ruffert