
Was als Spielzeug für männliche Selbstbefriedigung gedacht war, hat die kanadische Künstlerin Peaches überdimensional vergrößert, in mattem Pink gestaltet und zu einem Springbrunnen gemacht. Der „Fleischige Brunnen“ aus Riesen-Sextoys setzt im ersten Raum der Düsseldorfer Ausstellung „SEX NOW“ den Ton: Sex ist Lust, ist Spaß, ist allgegenwärtig und solange er allen Beteiligten Freude macht, gibt es keine Grenzen. Liebe? Die muss nicht zwingend dabei sein, sagt der Kurator und künstlerische Leiter des NRW-Forums, Alain Bieber.
Rund 400 Bilder, Filme und Objekte rund um das Thema Sexualität in zehn thematischen Räumen zeigt die Schau, die über sexuellen Genuss und frei gelebte Sexualität aufklären soll. Aufklärung müssten nach Meinung von Bieber gerade auch Jugendliche bekommen, die in Schulen im Sexualkundeunterricht immer noch in peinlicher Weise mit Hilfe von Bananen oder Holzpenissen über die Urkraft des Lebens informiert würden. Auf Entscheidung von Polizei und Staatsanwaltschaft hin ist die Ausstellung aber erst ab 18 Jahren zugänglich, was am Eingang auch kontrolliert wird.
Oswalt Kolle, die Pille, „Zur Sache Schätzchen“ - und Aids: mit der Geschichte sexueller Aufklärung in der Bundesrepublik der 1960er Jahre und dem Schock durch die sexuell übertragbare Krankheit in den 1980ern beginnt die Schau. Männliche und weibliche Sexualorgane sind als Skulpturen präsent, mal naturgetreu, mal verfremdet, etwa in überdimensionalen sogenannten „Flauschmöbelstücken“ der feministischen Künstlerin Peaches.
Unter dem Titel „untenrum“ sind fast 400 Fotos entblößter Vulven und Penisse zu sehen. Biologisch-medizinische Informationen ergänzen diese Darstellung. Gerade über weibliche Geschlechtsorgane sei im allgemeinen Bewusstsein immer noch zu wenig bekannt, sagt Kuratorin Judith Winterhager: „Die Klitoris wurde noch im Jahr 2022 in Büchern falsch gezeichnet“.
Dass Frauen Sexualität nicht nur aus Liebe, Genuss oder im Wunsch nach Schwangerschaft und Geburt leben, sondern zu oft Opfer sexueller Gewalt werden, thematisiert der Raum „Me too“ etwas hilflos mit einer Skulptur von Boxhandschuhen, Fotos trauernder Frauen und einer Überschrift aus der Bild-Zeitung. In einer Schau, die meist auf Ästhetik setzt, lässt sich dieses Thema offenbar nicht ausführlich darstellen. Das Gleiche gilt für das Thema Prostitution. Sie wird erwähnt, mehr der Vollständigkeit halber als engagiert. Eine Fotoserie leerer Räume von Prostituierten vermittelt einen Eindruck von der Trostlosigkeit ihrer Tätigkeit.
Ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben widmet die Schau viel Raum. Ein kurzer Film zeigt Männer, die in einem Urwald mit Pflanzen ihre Befriedigung finden. Diese, von außen betrachtet, ungewöhnliche, harmlose Neigung, hat eine gewisse Schönheit und eine Nahaufnahme einer Farnpflanze zeigt in diesem Zusammenhang sogar eine eigentümliche erotische Schönheit. Sexualität als freudige Wahrnehmung der Welt, die über den Akt der gegenseitigen oder eigenen Befriedigung hinausgeht.
„Der ganze Körper ist Organ erotischer Wahrnehmung“, sagen auch die Künstler Tatjana Bikic und Andreas Ullrich. Stimuliert werden könne diese Wahrnehmung nicht allein mit körperlicher Berührung oder Geräuschen sexueller Akte, sondern auch durch Alltagsgeräusche, die Freude und Wohlbefinden schaffen können, wenn sie nahe genug ans Ohr dringen. Für ihren Raum „Killing me softly“ haben Bikic und Ullrich Geräusche und Gespräche von Restauratoren und Restauratorinnen aufgenommen, die Holz bearbeiten und darüber sprechen. Ein Zauber von Berührung und Nähe stellt sich ein, wenn man sich in dem Raum den Klängen sowie dem Dufte ätherischer Öle aussetzt.
Als „Popkulturell“ bezeichnet Kurator Alain Bieber seine Schau, die es so seines Wissens in Deutschland noch nicht gegeben habe. Da aber Sexualität allgegenwärtig und Urkraft allen Lebens sei - „ohne Sexualität wären wir nicht hier“ - , sei es so richtig wie wichtig, sich damit auf diese Weise zu beschäftigen: offen, aufklärerisch, humorvoll, und immer ein bisschen weiter gehend, als üblich. Bieber sieht sich dabei auch in guter Tradition: das älteste Objekt ist ein stehender Glaspenis aus dem 16. Jahrhundert.
Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm mit Veranstaltungen, Gesprächen und Aktionen: gleich am kommenden Wochenende (6. September) kann man Cupcakes in Form von Genitalien backen.