„Lassen Sie sich Ihren Fuß kostenlos durchleuchten“ steht auf dem Holzkonstrukt mit einem Hebel an der Seite und oben angebrachten Gucklöchern. Es handelt sich um ein „Fuß-Röntgenoskop“, mit welchem sich mithilfe von Röntgenstrahlen feststellen lässt, ob die Schuhe, die man trägt, passend sind. Die Werbung verkauft es als „vollkommen gefahrlos“, dabei ist es genau das Gegenteil davon. Zurzeit steht es im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und war laut Generaldirektor Ralf Beil von den 1920er bis in die 1970er Jahre im Einsatz. Es ist Teil der Schau „X-RAY. Die Macht des Röntgenblicks“, die ab Sonntag zu sehen ist.
Am 8. November 1895 hatte Wilhelm Conrad Röntgen die sogenannten X-Strahlen entdeckt. Er verzichtete sogar auf ein Patent und stellte seine Erkenntnisse frei zur Verfügung. Genau diesen Entdeckungsprozess und die weltweite Verbreitung der Technik zeigt gleich zu Beginn ein übergroßer Comic des Künstlers Jens Harder. Röntgen, der für seine X-Strahlen den ersten Physiknobelpreis gewann, ist laut Beil ein Beispiel für die Bedeutung von „open access“, also dem freien Zugang zu Technologien und Erfindungen.
Werke von 79 Menschen aus 27 Ländern
Die bis zum 16. August 2026 laufende Ausstellung erstreckt sich auf 6.000 Quadratmeter in der Gebläse- und der Verdichterhalle. Sie ist zudem in 18 Kapitel unterteilt: Darin geht es sowohl um den geschichtlichen und physikalischen Hintergrund als auch um die Auswirkungen auf Politik, Medizin und Kultur. Zu sehen sind unter anderem Rauminstallationen, ein Labornachbau, Gemälde, Comics, ein Satellit und zwei begehbare Labyrinthe von insgesamt 79 Menschen aus Wissenschaft und Kultur aus 27 Ländern.
Historisch sind beispielsweise die Wagen, die laut Beil die Nobelpreisträgerin Marie Curie als mobile Röntgenstationen im Ersten Weltkrieg (1914-1918) auf den Weg gebracht hat. Das Ziel war, schnell zu erkennen, welche Verletzungen Soldaten genau davongetragen hatten. Sie sind als Fotos zu sehen. Auch zum Erkennen von Tuberkulose waren und sind die X-Strahlen wichtig. In der NS-Zeit wurden sie laut Generaldirektor allerdings auch missbraucht, um mit ihnen etwa zu überprüfen, dass Menschen sterilisiert wurden.
Glasfenster mit Lungenfotos von Arbeitern der Völklinger Hütte
Um die Geschichte der Völklinger Hütte selbst geht es in einem Werk von Christoph Brech, welches dem Weltkulturerbe dauerhaft erhalten bleibt. Er hat ein Glasfenster mit Röntgenthorax-Aufnahmen ehemaliger Hüttenarbeiterinnen und -arbeiter gestaltet. Es sei eine zufällige Auswahl, aber relativ viele hätten eine Staublunge, einige auch Tumore gehabt, berichtet er. Die Atemluft in der Hütte sei immer mit vielen Staubpartikeln kontaminiert gewesen. Dieses Fenster solle an die Arbeiter erinnern.
Zu den weiteren Objekten gehören auch Darstellungen des Turiner Grabtuchs, Mode mit Einflüssen des sonst nicht sichtbaren Brustkorbs oder Karikaturen über Donald Trump und Adolf Hitler. In den USA gab es auch einen sogenannten Posture Contest, bei dem die Teilnehmerin gewann, die die schönste gerade Wirbelsäule hatte - bewiesen mithilfe eines Röntgenbilds.
Als Leihgabe des Luxemburger Museums Mudam findet sich eine Kapelle des Künstlers Wim Delvoye in der Schau. Die gotische Kirchenarchitektur ist von Röntgenaufnahmen als Fenster begleitet, die anstelle von biblischen Szenen etwa küssende Menschen oder sexuelle Anspielungen zeigen. Um Selbstbestimmung und Sexualität geht es auch auf einem Schallplattencover der Künstlerin Lorde, welches ein Röntgenbild ihres Unterleibes zeigt. Die Fotografin Cris Bierrenbach präsentiert in ihrer fünfteiligen Fotoreihe „Rerato Intimo“ in den Unterleib eingeführte Gegenstände wie eine Schere oder eine Spritze, die nur dank Röntgenbilder sichtbar werden.
Rund acht Meter hohes Masthuhn aus 105 Knochen
„Die Halle platzt aus allen Nähten“, sagt Generaldirektor Beil. Im wahrsten Sinne des Wortes übergroß ist auch die aus 105 Knochen bestehende Darstellung eines Masthuhns von Andreas Greiner. Wie ein Dinosaurierskelett ragt es aus dem Untergeschoss mit einer Höhe von fast acht Metern hervor. Er habe von einem Betrieb ein totes Masthuhn bekommen, dieses gewaschen, tiefgefroren und dann bei der Berliner Charité durch den CT-Scan geschickt, berichtet er. Aus dem 3D-Bild sei dann mithilfe eines 3D-Druckers das Masthuhn entstanden. Es solle den Einfluss des Menschen auf die nicht-menschliche Natur zeigen.
Natur präsentiert auch der niederländische Radiologe und Künstler Arie van ’t Riet. Mit radiologischen Bildern von Pflanzen und toten Tieren hat er ein Panorama der Natur gestaltet. Die ursprünglichen schwarz-weißen Scans hat er digitalisiert und eingefärbt, sodass es wie eine Szene aus dem Alltag von Vögeln und Reptilien aussieht. Ihn hätten die Röntgenstrahlen gelehrt, dass alle Lebewesen den gleichen Bauplan hätten. „Von der Amphibie bis zum Menschen sind wir alle gleich“, betont er.