
Die Gießkannen tragen Namen wie „Aluhut“, „Schau mir nicht mehr in die Augen“, „Trennungsschmerz“ oder „Therapie-erfahren“: Es fällt sofort auf, dass hinter dem Gießener Gießkannenmuseum eine Künstlergruppe steckt. Das Museum besteht nur aus einem Raum, durch ein Fenster lugen Pflanzen herein. Die Gießkannen sind auf Holzregalen platziert, in sanftes Licht getaucht, die Farben harmonisch abgestimmt. „Warum ist so viel Energie in das Design von Gießkannen geflossen?“, fragt die Kuratorin Ingke Günther und gibt gleich die Antwort: „Weil der Mensch sie immer in der Hand hat, sollen sie auch schön sein.“
Die Kuratorin, selbst Künstlerin, tippt an ein Regal mit „Schwiegermutter-Kannen“. Sie lacht. „Die haben wir so genannt, weil unglaublich viele Schwiegertöchter damit ankamen.“ Eine Besonderheit des Museums ist es, dass die Menschen aufgerufen sind, selbst Exponate vorbeizubringen. Zu jeder Gießkanne erzählen sie dann auch eine Geschichte.
Die Schwiegermutter-Kannen, die meisten im 1950-er-Jahre-Stil, brachten Frauen, die sie einst als Geschenk von der Schwiegermutter bekamen. Denn zu den Aufgaben der jungen Frauen gehörte es damals, das Blumenfenster im Haus zu versorgen. Die Kannen sind meist aus Kupfer oder Messing, sehen sehr elegant aus mit ihrem langen Hals. „Die Schwiegertöchter haben die Kannen auch mit Erleichterung ins Museum gebracht“, erzählt Günther.
Die Idee zum Museum hatte ein Gießener Bürger, weil die Gießkanne ja im Wortstamm des Städtenamens enthalten ist. Das Museum besteht seit 2011. Nur ein Teil der 1.700 Exponate wird in der Ausstellung gezeigt. Das kleine Museum öffnet an fünf Wochentagen lediglich halbtags, trotzdem besuchen es 6.000 Menschen im Jahr.
„Es ist ein kommunikatives Museum, die Leute kommen schnell ins Gespräch, jeder hat eine Geschichte zu erzählen“, sagt Günther und listet die Besuchsgruppen der vergangenen Wochen auf: eine Burschenschaft, ein Fetischclub aus Frankfurt, Richterinnen, Landfrauen, ein Design-Professor, Studierende.
Die Kuratorin nimmt das älteste Stück der Ausstellung in die Hand: Die Kanne mit der zerdellten Brause hat jemand in Paris entdeckt, sie ist mehr als 200 Jahre alt. Es gebe Belege, dass in der Renaissance die ersten Gießkannen auftauchten, davor verwendeten die Menschen Krüge. Ab dem 19. Jahrhundert seien sie zum Massenartikel geworden, mit der im Prinzip bis heute unveränderten Form.
Im Museum befinden sich Exponate in Form eines Tukans, eine „Gangsterkanne“ aus schwarzem Plastik mit einem Revolver als Henkel, ein gehäkeltes Objekt, Miniaturkännchen. „Backfischglück“ heißt eine gestreifte Kanne nach dem Entwurf des Industriedesigners Ernst Igl: Die Stifterin bekam sie geschenkt, als sie mit 16 Jahren ihr erstes eigenes Zimmer bezog - davor schlief sie im Wohnzimmer.
Etliche Gießkannen stammen aus den traditionellen Garten-Nationen England und Frankreich. Ingke Günther deutet auf ein Exemplar aus Vietnam: Der hölzerne Henkel liegt innerhalb der Einfüllöffnung. Sie hätten recherchiert, dass die Menschen sie offenbar beidseitig mit einem Holz über der Schulter tragen - Erinnerung daran, dass Gießen mühsame Arbeit ist.
In einer Ecke hängt eine leuchtend rote Weste. Ehrenamtliche „Gießkannenhelden“ tragen sie, wenn sie Stadtbäume gießen. Das Projekt stammt aus Essen. Dort bekommt jeder Bürger, der mitmachen möchte, kostenlos einen Regenwasser-Tank angeschlossen. 750 Wassertanks stehen mittlerweile in Essen, fast 700 ehrenamtliche Gießgruppen haben sich gebildet, wie Vincent Demond von der Essener Ehrenamtsagentur berichtet.
Die Ehrenamtsagentur hat das Projekt gestartet, unterstützt wird es vom örtlichen Wasserverband. Mit dabei sind Privatleute, Vereine, Kitas, Schulen und der Kirchenkreis. Die Idee wurde inzwischen auf weitere Städte übertragen. „Wir haben viele Anfragen, weil alle Kommunen mit demselben Problem konfrontiert sind“, sagt Demond. Bäume sind wichtig für das Stadtklima, aber sie leiden im Sommer zunehmend unter Hitze und Trockenheit.
Auch das Gießkannenmuseum will sich dem Thema Stadtbäume künftig mehr widmen. Kunstobjekt, Alltagsgegenstand, Erinnerungsstück: In Zeiten des Klimawandels kommt der Gießkanne eine neue Bedeutung zu.