Die Schattenseite der Kunst
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Ausstellung zum Schatten in der Gegenwartskunst im Kunstmuseum Bonn
Kunstmuseum Bonn befasst sich mit Schatten in der aktuellen Kunst
Bonn (epd).

Fantastische Schattenfiguren tanzen in einer komplizierten Choreografie über die Wand. Sie überlagern sich, werden größer und kleiner und verschwinden zeitweise wieder. In Hans-Peter Feldmanns Installation „Das Schattenspiel“ (2002) verdichten sich die philosophischen und existentiellen Fragen, die sich mit dem Motiv des Schattens verbinden. Es geht um die Beziehung von Wahrheit und Vorstellung sowie um die Erkenntnis, dass der Mensch stets in der Welt der Bilder gefangen bleibt.

Feldmann (1941-2023) gehört zu den Künstlerinnen und Künstlern, die in ihrer Arbeit das Höhlengleichnis des griechischen Philosophen Platon aufgriffen. Eine antike Geschichte, die Museumsdirektor und Kurator Stephan Berg zu einem Ausgangspunkt der ab Donnerstag zu sehenden Ausstellung „From Dawn Till Dusk. Der Schatten in der Kunst der Gegenwart“ macht.

Sie handelt von Menschen, die in einer Höhle sitzen und vergeblich versuchen, die Wirklichkeit aus Artefakten abzuleiten, deren Schattenrisse sich an der Höhlenwand abzeichnen. Feldmann hingegen spielt mit offenen Karten. Die fünf kreisenden Platten, auf denen die Figuren angeordnet sind, sowie die Scheinwerfer sind zu sehen und führen die Täuschung vor Augen.

„Über Jahrhunderte stand der Schatten buchstäblich im Schatten der Wahrnehmung“, stellt Berg fest. Lange Zeit habe in der westlichen Kulturgeschichte die Aufmerksamkeit dem Licht gegolten, durch das man sich Erleuchtung und Erkenntnis versprach. Dabei sei in den Hintergrund geraten, dass erst der Schatten für Konturen sorge.

Die Bonner Ausstellung, die bis zum 2. November zu sehen ist, verdeutlicht nun, dass der Schatten in der Gegenwartskunst aus dem Abseits in den Fokus getreten ist. Es handele sich um die erste deutsche Museums-Schau, die den Schatten als bildgebendes Thema innerhalb der aktuellen Kunst beleuchte, erklärt Berg. Sie präsentiert Gemälde, Installationen, Grafiken, Fotografien und Videoarbeiten, die den Schatten als Brücke zwischen dem Anwesenden und Abwesenden oder der materiellen und immateriellen Welt thematisieren.

Zu sehen sind Werke von rund 40 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Darunter sind Arbeiten von Vito Acconci, David Claerbout, Olafur Eliasson, William Kentridge, Jürgen Klauke, Edvard Munch, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Dorothea Tanning, Jeff Wall sowie Tim Noble & Sue Webster.

Zu Beginn des Ausstellungsparcours bezeugen unter anderem zwei Schwergewichte der Kunst die Bedeutung des Schattens. Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner thematisierte bereits 1915 in einem farbigen Holzschnitt eine Schlüsselszene aus Adalbert von Chamissos Novelle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ (1813). Der Protagonist verkauft dem Teufel seinen Schatten. Aber ohne den Schatten, der seine Präsenz bezeugt, ist er gesellschaftlich geächtet.

Gerhard Richter greift mit dem großflächigen Gemälde „Fenster“ (1968) ein traditionelles Motiv der Malerei auf. Doch zu sehen ist nicht wie üblich eine Landschaft hinter dem Fenster, sondern der Schatten der Fensterkreuze. Das Fenster verweist nicht auf eine dahinter liegende Realität, sondern nur auf sich selbst. Ohne den Schatten würde es sich um ein rein abstraktes Bild handeln.

Tim Noble & Sue Webster machen mit ihrer Skulptur „Dirty White Trash (With Gulls)“ (1998) Umstände sichtbar, die sozusagen im Schatten der Wahrnehmung liegen. Das britische Künstlerpaar formte aus seinem eigenen Müll von sechs Monaten einen Berg. Diesen beleuchten sie so, dass an der dahinter liegenden Wand ihre Silhouette entsteht, wie sie mit dem Rücken aneinander gelehnt eine Zigarette und ein Glas Wein genießen: Eine selbstkritische Abrechnung mit dem Konsumverhalten unserer westlichen Gesellschaft.

Die Fotografie als Medium, das mit Hilfe von Licht entsteht, ist geradezu prädestiniert, sich auch mit der Kehrseite zu beschäftigen. Der Düsseldorfer Fotograf Thomas Ruff wandelt in seiner Serie „Negative“ die Belichtung von Fotografien aus dem 19. Jahrhundert in ihr Gegenteil. Er scannte die Bilder, kehrte sie digital zu Negativen um und bearbeitete diese noch einmal. So zeichnen sich nun dort Formen ab, wo kein Licht durchdringt. Der Kölner Fotograf Jürgen Klauke bildete sich mit Hilfe von Röntgenstrahlen gekrümmt liegend als „Toter Fotograf“ ab, der nur noch als Schatten existiert.

Olafur Eliasson gibt den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung mit seiner Installation „Your Uncertain Shadow (Growing)“ (2010) die Möglichkeit, selbst zu Schattenkünstlern zu werden. Er ordnete in einem Raum mehrere verschiedenfarbige Scheinwerfer in einer Reihe an. Wer in das Licht tritt, erscheint als aufgefächerter Schatten an der Wand.

Von Claudia Rometsch