„Ich habe den Tod ein paarmal übersehen“, pflegte die alte Tante Katie schmunzelnd zu sagen, wenn man sie nach dem Geheimnis ihres Alters fragte. „Vielleicht war das mein größter Trick.“ Katie wurde über 100 Jahre alt - und hatte alles bestens vorbereitet für ihren Tod: im Sarg das gute rote Kleid, die Lippen fröhlich rot geschminkt wie früher und in der Todesanzeige nur ein Satz: „Sie war da, wenn man sie brauchte.“
Für die Bestatterin Hanna Roth aus Bergisch Gladbach ist Katie ein Beispiel dafür, wie Frauen sich mit aller Offenheit auf den Tod vorbereiten: gelassener und friedlicher als viele Männer. Manchmal meint Roth in ihrer 14-jährigen Berufspraxis mit Tausenden Verstorbenen sogar glückliche Gesichter wahrgenommen zu haben - mit einem Lächeln auf den Lippen. Die 38-jährige Trauerbegleiterin lernte Kati, die Frau vom Büdchen nebenan, schon in ihrer Schulzeit kennen, beide verband eine ungewöhnliche Freundschaft. Und so widmet Roth ihrer Katie ein eigenes Kapitel in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Sterben Frauen anders?“
Den Tod nicht verdrängen
Den Grund für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sieht Roth in den Lebensgeschichten. „Frauen gehen anders mit Übergängen um und sind gewohnt, Abschiede zu nehmen“, erklärt sie: Schwangerschaft und Geburt, die Kinder gehen aus dem Haus, die Pflege von Angehörigen, die Begleitung der Eltern im Sterbeprozess, die Arbeit in Care-Berufen, etwa in der Alten- und Krankenpflege. „Ich habe den Eindruck, dass Frauen gelassener mit dem Tod umgehen, weil sie sich vorher schon viel mehr damit beschäftigt haben“, sagt Roth. „Weil sie so auch ihren eigenen Tod vorbereitet haben, können sie besser loslassen.“
Die junge Bestatterin will ihre Beobachtungen nicht als „unumstößliche Wahrheiten“ verstanden wissen, sondern als Plädoyer dafür, den Tod nicht zu verdrängen. Er soll nicht hinter gekachelten Klinikwänden und Altenheimen in der Anonymität verschwinden, sondern Teil des Lebens sein. Ganz im Sinne ihres 2012 gestorbenen Vaters Fritz Roth, der die Trauerkultur bundesweit seit den 1980er Jahren mit dem Bestattungshaus Pütz-Roth in Bergisch Gladbach veränderte und der Trauer eine Heimat gab: mit dem ersten privaten Friedhof in Deutschland, „Gärten der Bestattung“, oder mit Kunstprojekten wie „Ein Koffer für die letzte Reise“. Heute macht Hanna Roth gemeinsam mit ihrem älteren Bruder David die Geschäftsführung.
Männer scheuen die Gefühlsebene
Die Trauer-Expertin erlebt in ihrem Beruf sowohl waches Interesse als auch Abwehr, etwa beim „Vorsorge“ - Gespräch über die eigene Beerdigung. „Einmal habe ich ein Ehepaar erwartet“, erzählt sie, „aber nur die Frau kam und hat gesagt: 'Ich konnte meinen Mann nicht überreden, mitzukommen, er meinte, du machst das schon.'“ Das sei sinnbildlich. Männer wollten keinesfalls auf die Gefühlsebene gehen, sondern fragten nur, welcher Sarg genommen werde und wo das Krematorium sei.
Damit bringen sich viele Menschen um eine wichtige Dimension ihres Lebens, findet Hanna Roth, für die der Tod schon als Kind vertraut war. Das Bestattungshaus der Eltern, in dem sie heute fast täglich Verstorbene wäscht, kleidet und für den Abschied der Angehörigen vorbereitet, ist seit langem ihr zweites Zuhause. Daher fließen viele Erfahrungen in ihre zentrale Erkenntnis: „Wer den Tod verdrängt, verliert ein Stück Lebendigkeit. Wer ihn anschaut, gewinnt an Tiefe. Darin sind Frauen besser.“
Trauern, im Garten grillen und am Leben freuen
Allerdings sterben laut Roth manche Frauen auch einsamer und langsamer, litten an Krebs oder Demenz. Nach dem Tod des Ehepartners blieben sie oft allein und wollten niemandem mehr zur Last fallen - eine unselige Spirale.
Wie sehr das Verhältnis zu Tod und Sterben das eigene Leben prägt, belegt Roth in ihrem Buch mit vielen Begegnungen und den teils tragischen Geschichten prominenter Frauen wie Amy Winehouse, Mascha Kaléko, Hannelore Kohl, Lady Di oder Queen Elizabeth. Aber auch die Mater Dolorosa kommt vor, Maria mit dem verstorbenen Jesus im Arm. Eine „Frau vom Fach“, wie Roth sie nennt, die sich auskennt mit dem Geheimnis von Leben und Tod, von Leid und Schmerz.
„Trauer ist Liebe“, auch das ist Hanna Roth wichtig, und sie dürfe bunt wie das Leben sein. Für ihren eigenen Tod hat sie schon geplant: „Meine Beerdigung soll wie mein Geburtstag sein. Erst wird die Urne beigesetzt und dann sollen alle bei uns im Garten grillen und sich des Lebens freuen und von mir erzählen.“