Was man von einer Ziegenherde lernen kann
Martin Wikeski
Der Konstanzer Schwarmforscher Martin Wikelski erklärt in seinem neuen Buch, wie Tiere dem Menschen helfen können - zum Beispiel bei drohenden Erdbeben.
Konstanz (epd)

Bereits als Kind schaute Martin Wikelski ausdauernd in den Himmel. Ihn interessierten nicht die Flugzeuge, die über seiner bayerischen Heimat ihre Spur zogen. Wikelski beobachtete Vögel - ob in der Luft oder in den Nestern. Aus der Beobachtung der Flügeltiere und später der Landtiere machte er seinen Beruf.

Als Ornithologe, also Vogelkundler, zählt er heute zu den Kapazitäten seines Fachs, das er um eine wichtige Perspektive bereicherte: Der 58-Jährige beobachtet das Verhalten von Schwärmen mithilfe von extraterrestrischen Methoden. Aus dem Weltraum verfolgt er die Wege von Tiergruppen, um Einblick in ihr Verhalten zu gewinnen.

Der Honorarprofessor an der Universität Konstanz ist nicht nur ein beharrlicher Forscher. Er kann seine Erkenntnisse auch in gut verständlicher, ja packender Form mitteilen. In seinem neuen Buch «The Internet of Animals» beschreibt er den Weg hin zur Beobachtung großer Schwärme.

Lange Jahre saßen die Ornithologen in ihrem Versteck und beobachteten einzelne Vogelfamilien. Sie analysierten Brutverhalten und Nahrungserwerb. Wikelski hat das auch getan, doch packte ihn bald die Lust an größeren Zusammenhängen. Er wollte begreifen, wollte Flugrouten und Landeplätze über lange Zeiträume hinweg betrachten und verstehen.

Dafür genügte die Feldforschung alten Schlages nicht mehr. Der Weltraum sollte es sein, um Schwärme von oben und als Gesamtes verfolgen zu können. Wikelski dockte sein Projekt an die ISS (Internationale Raumfahrtstation) an. Russische Mitglieder der ISS installierten unter großen Mühen eine Antenne an der Forschungsstation.

Die waghalsige Montage vor mehr als 20 Jahren wird im Buch packend beschrieben. Lange Jahre sammelte die Antenne die Informationen, die Tausende von Vögeln und Landtieren lieferten. Dafür waren sie jeweils mit einem Sender ausgerüstet worden. Millionen von Daten wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten dazu angehäuft. Doch wozu?

Wikelski, der auch Direktor der Abteilung für Tierwanderungen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie ist, verspricht sich langfristigen Nutzen aus dem Material. Beispielsweise haben Tiere ein feines Sensorium für nahende Gefahren. Sie spüren ein Erdbeben im Voraus. Elefanten, Ziegen oder auch Schwalben können wichtige Prognosen für den Menschen liefern. Wenn ihre Bewegung beobachtet und abweichendes Verhalten erkannt wird, kann der Mensch daraus lernen.

Nachdem die Zusammenarbeit mit der ISS beendet wurde - auch aus politischen Gründen -, setzt der Verhaltensforscher auf ein neues System. Zurzeit wird ein eigener Satellit gebaut, der 2025/2026 ins All geschickt wird und unabhängig von der ISS operieren soll. Auch Wilderei lässt sich auf diesem Weg besser aufdecken als bisher.

Selbst Haustiere könnten einen Nutzen bringen, sagt der Professor. In München oder Konstanz seien bereits einige Hundert Katzen und Hunde mit GPS-Trackern (Meldegeräten) ausgerüstet. «Ziel ist es, dass wir auf eine Million datenliefernde Haustiere kommen», sagt Wikelski im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Wikelski beschreibt diese Dinge anschaulich und mit ungebremstem Optimismus. Man staunt über den Weg vom Schuljungen, der den Vogelzug beobachtet, bis zum Wissenschaftsmanager, der mit der NASA verhandelt und dort erst einmal ausgelacht wird. Man staunt auch über den Netzwerker, der die nötigen Gelder einzutreiben vermag.

Berührend an diesem flott erzählten Sachbuch ist die Schilderung der kleinen Geschehnisse, in denen Wissenschaft noch als Handwerk betrieben wird. So beschreibt der Ornithologe eine Expedition nach Galapagos, wo er und seine Kollegen für mehrere Wochen campieren durften. Anlass waren Meeresechsen, die nur dort leben.

Wikelski stellte überrascht fest, dass die Echsen nicht vor dem menschlichen Tross flohen. Die Tiere blieben und schauten zu, wie vor ihren Augen ein Camp errichtet wurde. Er notiert: «Es ist ein großes Privileg, sich an einem Ort aufzuhalten, wo Tiere keine Angst haben, da sie seit Jahrtausenden nicht verfolgt werden.»

Von Uli Fricker (epd)