Gespannte Blicke sind auf ihn gerichtet: Im großen Probensaal des Dresdner Kreuzchores haben Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern Platz genommen. Der neunjährige Moritz Rühl rückt die Füße auf dem Parkett zurecht. Dann singt er ein selbstgewähltes Stück. „Ich war ziemlich aufgeregt und unsicher, ob ich der Herausforderung überhaupt gewachsen bin“, erinnert sich der heute 19-jährige Sänger. Seine Eltern hätten ihn schlussendlich überredet. Ein paar Wochen später sei die Bestätigung zur Aufnahme in den Dresdner Kreuzchor gekommen. Der Einstieg war geschafft.
Sächsische Knabenchöre haben ihre Heimat in den Kirchen und setzen eine jahrhundertealte Tradition fort. Dafür braucht es immer wieder neue Stimmen. Bis heute werden Knabenchöre ausschließlich mit Jungen besetzt. Laut den Chorleitern wird nach wie vor an der Tradition festgehalten. Sie verweisen auf den spezifischen Klang eines reinen Knabenchores. Die Teams um die Chorleiter sind daher regelmäßig auf der Suche nach jungen Sängern.
Wie dem Kreuzchor geht es auch dem Leipziger Thomanerchor und den Dresdner Kapellknaben. Stabile Anmeldezahlen gibt es nach Angaben der drei Knabenchöre durchaus. Die verfügbaren Plätze können offenbar besetzt werden. Der Kreuzchor habe zum Schuljahresbeginn 24 Jungen aufgenommen, bei den Thomanern seien es meist 15 Jungen und auch die Kapellknaben, der Chor der Dresdner Kathedrale, rechnen mit 15 bis 20 Neuzugängen.
Der geschäftsführende Leiter des Thomanerchors in Leipzig, Emanuel Scobel, sagt: „Natürlich würden wir uns noch mehr Interesse wünschen.“ Es gäbe zwar immer noch mehr Bewerber als Plätze zur Verfügung stehen - die Anmeldezahlen seien aber nicht mehr vergleichbar mit dem vielfachen Interesse von vor 25 Jahren. „Was wir aber feststellen: Die Faszination für das Singen ist immer noch da“, sagt er. Es gäbe immer Jungs, die begeistert singen und darin eine Erfüllung fänden.
Diese Musikbegeisterung hilft den Knabenchören. Die Suche nach geeignetem Nachwuchs beginnt meist schon im Vorschulalter. Dafür organisieren der Kreuzchor und der Thomanerchor Schnupperstunden in Kindergärten und Grundschulen: Es wird gemeinsam gesungen und musiziert.
Das Kreuzchor-Team war damals auch zu Moritz Rühl in die erste Klasse gekommen. Er erinnere sich noch, dass er „Alle Vögel sind schon da“ vorgesungen habe. Bis zur Aufnahmeprüfung vor der vierten Klasse habe er daraufhin jede Woche beim Kreuzchor Gesangs- und Musiktheorieunterricht bekommen.
Auch die Kapellknaben haben laut Domkapellmeister Christian Bonath in den vergangenen Jahren eine Talentsuche an Schulen eingeführt. „Wenn uns Kinder besonders auffallen, dann laden wir sie zu uns ein“, sagt er. Ein besonders qualifiziertes musikalisches Talent werde in diesem Alter noch nicht vorausgesetzt. Bonath ist sich sicher: „Es braucht nur Lust am Singen.“ Was die Nachwuchsarbeit bei den Kapellknaben unterscheidet: In dem vor etwa eineinhalb Jahren gegründeten Kinderchor an der Kathedrale in Dresden singen Mädchen und Jungen gemeinsam. Ein vergleichbares Ensemble gibt es beim Kreuzchor und Thomanerchor nicht.
Unterschiede zeigen sich auch im Alltag der jungen Sänger: Die Kapellknaben sind ein Chor mit Tageseinrichtung. Neben gemeinsamen Mahlzeiten und Schulaufgaben finden dort drei bis viermal pro Woche die Chorproben statt. Dagegen leben die meisten Kruzianer und Thomaner im sogenannten Alumnat und verbringen oft nur die Wochenenden zu Hause. Neben Hausaufgaben und Freizeit gehören auch die Chorproben sowie Gesangs- und Instrumentalunterricht zum Tagesprogramm.
Kreuzkantor Martin Lehmann ist von den „kurzen Wegen“ überzeugt: „Sie helfen, alles gut zu bewältigen“, sagt er. Auch wenn die Tage für die Jungs damit sehr durchgetaktet seien. Moritz Rühl hat seine Kreuzchorlaufbahn mit dem Abitur vor wenigen Wochen beendet. Er vermisse die Gemeinschaft und die Zeit im Alumnat schon jetzt, sagt das ehemalige Chormitglied. Aber die Musik werde ihn vermutlich ein Leben lang begleiten.