Die 103-jährige Holocaust-Überlebende und Berliner Ehrenbürgerin Margot Friedländer hat das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 80 Jahren mit einem emotionalen Appell geprägt. Bei einer Gedenkveranstaltung von Berliner Senat und Abgeordnetenhaus sagte sie an die im Festsaal des Roten Rathauses Versammelten gerichtet: „Bitte seid Menschen.“ Zuvor hatte Friedländer Passagen aus ihrem Buch „Versuche, dein Leben zu machen“ gelesen, die ihre Befreiung im Frühjahr 1945 in Theresienstadt schilderten.
Friedländers Appell wurde von den geladenen Gästen mit stehenden Ovationen bedacht. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dankte ihr für ihre dauerhaften Mahnungen und sagte, er sei stolz darauf, dass die 103-Jährige Ehrenbürgerin Berlins sei.
In seiner Rede hatte der Regierende Bürgermeister zuvor mit Blick auf globale Konflikte etwa in der Ukraine oder in Nahost herausgestellt, dass es sicherlich wenig Anlass zu feiern gebe, aber viele Gründe, um der historischen Ereignisse zu gedenken. „Es war ein Tag der Befreiung“, sagte Wegner in Anspielung auf die historische Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920-2015). In dieser hatte er vor 40 Jahren im Bundestag in Bonn vom 8. Mai als einem „Tag der Befreiung“ gesprochen. Die Rede wurde zu Beginn der Gedenkveranstaltung eingespielt.
Der 8. Mai ist in diesem Jahr in Berlin einmalig ein gesetzlicher Feiertag. Noch heute empfänden Menschen den 8. Mai als Tag der Niederlage, so Wegner. Er betonte, für viele Menschen sei das Datum jedoch ein Tag der Hoffnung gewesen, allen voran für Jüdinnen und Juden. Sie hätten in der NS-Zeit so unsäglich viel Leid erfahren, dass es heute kaum in Worte zu fassen sei.
Wegner mahnte, wachsam zu bleiben gegenüber allen Formen von Geschichtsvergessenheit. Wörtlich sagte er: „Wer das Unrecht des Einen vergisst, wird das Unrecht des Anderen nicht erkennen.“ Der Regierende Bürgermeister schlug in seiner Rede auch einen Bogen zum Krieg in der Ukraine: „Berlin steht in diesen Tagen fest an der Seite unserer Partnerstadt Kiew und der Ukrainerinnen und Ukrainer.“ Mit Blick auf die immer weniger werdenden Zeitzeugen sagte Wegner: „Es ist unsere Verantwortung, dass wir niemals vergessen. Es ist unsere Verantwortung, dass sich Geschichte nicht wiederholt.“
Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld (CDU), erinnerte daran, dass das Kriegsende vor 80 Jahren je nach persönlicher Situation sehr unterschiedlich wahrgenommen worden sei: „Was sie alle jedoch verband, war die Erleichterung, den Krieg überlebt zu haben.“ Die Verbrechen und die unfassbare Menschenvernichtung durch das NS-Regime seien ebenso unbestreitbar wie die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Seibeld mahnte, in Zeiten eines erstarkenden Rechtsextremismus sei das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wichtiger denn je.
In Berlin sind rund um den 8. Mai zahlreiche Veranstaltungen geplant, unter anderem am Donnerstag ein ökumenischer Gedenkgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.