Zeitloser Spiegel des Menschlichen
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Vor 75 Jahren erschien der erste Peanuts-Comicstrip
Vor 75 Jahren erschien der erste Peanuts-Comicstrip
Hannover (epd).

Der Literaturkritiker Denis Scheck zählt sie zu den 100 wichtigsten Werken der Weltliteratur. Für den Carlsen Verlag gehören die Bildgeschichten der Peanuts zu den „einflussreichsten und bekanntesten Comic-Strips aller Zeiten“. Und der deutsche Übersetzer des Gesamtwerks, Matthias Wieland aus Hannover, sieht in den humorvollen Episoden einen „wunderbaren, zeitlosen Spiegel des Menschlichen“.

Vor 75 Jahren, am 2. Oktober 1950, erschien in sieben US-Zeitungen, darunter die „Washington Post“, die erste Geschichte der Peanuts. Ein Name, der dem Schöpfer der Serie, Charles M. Schulz, überhaupt nicht gefiel. Er hatte seine Figuren „Li’l Folks“ (etwa: Kleine Leute) genannt. Aber wegen der Namensähnlichkeit zu einer anderen Reihe drängte der Vertrieb auf Peanuts. Wohl eine Anspielung auf die billigen Plätze im Kino, die „Peanut Gallery“, wo fleißig Erdnüsse geknabbert wurden.

Schulz schuf in fünf Jahrzehnten fast 18.000 Bildergeschichten. Sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt, erscheinen weiterhin in Zeitungen weltweit und werden zu immer neuen Publikationen zusammengestellt. Die Figuren zieren Produkte aller Art und tauchen animiert in Filmen und Streaming-Serien auf. Doch die Sammlung der klassischen Comicstrips wächst nicht mehr. Schulz, der im Jahr 2000 im Alter von 77 Jahren starb, hatte jede Bildergeschichte selbst gezeichnet. Und er wollte nicht, dass jemand anderes den Stift übernimmt.

Mehr als 70 Charaktere mit mehr oder weniger grotesken Eigenheiten sind im Familienalbum der Peanuts versammelt. Im Zentrum stehen der vom Leben geprüfte, immer gutherzige Charlie Brown und sein Beagle Snoopy, der bevorzugt vom Dachfirst seiner Hundehütte auf die Welt blickt. Dazu etwa die resolute Lucy, die gelegentlich einen Stand für psychologische Beratung betreibt, der Schmusedecken-Besitzer und Jung-Philosoph Linus oder der Dauer-Klavierspieler Schroeder. Erwachsene kommen praktisch nicht vor.

In Deutschland bringt der Carlsen Verlag in Hamburg seit 2006 regelmäßig Peanuts-Bücher heraus, darunter auch die Werkausgabe mit allen Strips. „In den vergangenen 20 Jahren sind bei uns rund 80 Titel mit einer Auflage von knapp einer halben Million Exemplaren erschienen“, bilanziert Carlsen-Redakteur Ralf Keiser.

Gelesen werden die Peanuts laut Verlag von Menschen allen Alters. „Sicher gibt es bei Älteren einen Nostalgie-Effekt, wenn sie die Peanuts aus ihrer Kindheit kennen“, so Keiser. Aber durch neue Reihen und Formate würden auch junge Leser angesprochen. „Den Kids ist ja nicht wichtig, wie alt eine Geschichte ist, wenn sie sie nur gut finden.“ Charles M. Schulz habe es geschafft, „grundlegende menschliche Fragen, etwa zu Liebe, Freundschaft oder Fantasie, immer wieder neu zu stellen und auf witzige, aber niemals banale Art und Weise zu präsentieren“.

Einer, der sich in jede einzelne der 17.897 Bildgeschichten vertieft hat, ist Matthias Wieland. Der Comic-Übersetzer übertrug im Verlauf von anderthalb Jahrzehnten die Gesamtausgabe ins Deutsche. „Ich habe meist in kürzeren Blöcken gearbeitet, das waren täglich etwa 30 Strips“, sagt Wieland. Seine „Rohübersetzung“ sei dann im Team mehrfach überarbeitet worden. „An einzelnen Strips haben wir sehr lange gefeilt“, erinnert er sich.

Denn: Die Übersetzung soll möglichst werktreu sein. Zugleich müssen unübertragbare Wortwitze angepasst oder ersetzt werden. Außerdem soll der Text in die vorgegebenen Sprechblasen passen. Und bei vier Bildern müsse am Ende „ein Schmunzler, im besten Fall ein Lacher“ stehen, erläutert Wieland.

Schon in jungen Jahren sei er begeisterter Peanuts-Leser gewesen, erzählt der Hannoveraner: „Das waren quadratische, orangefarbene Bücher, die ich früher in der Leihbücherei entdeckt und verschlungen habe.“ Er habe damals keineswegs jede Anspielung verstanden. „Das hat aber meinem Lesevergnügen keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, ich fand diese Verweise auf eine mir noch unbekannte Welt faszinierend.“ Die Geschichten seien zeitlos: „Die Gefühle, Hoffnungen und Ängste, die Charlie Brown und die anderen ausdrücken, kennen Kinder heute wohl genauso.“

Charles M. Schulz hätte wahrscheinlich auch zum runden Geburtstag der Peanuts einen lakonischen Kommentar parat gehabt. Seinen Beruf umschrieb der Schöpfer der legendären Reihe einmal so: „Ein Cartoonist ist jemand, der jeden Tag die gleiche Sache zeichnet, ohne sich zu wiederholen.“

Von Detlef Brockes (epd)