Blütenpracht und Wasserspiel: Herrenhäuser Gärten werden 350
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Die Herrenhaeuser Gaerten in Hannover werden 350 Jahre alt
In Hannover ist Original-Gartenkunst des Barock erhalten geblieben
Hannover (epd).

Prüfend lässt Anke Seegert den Blick über die buchsbaumgesäumten Beete schweifen, die sich in streng geometrischen Linien durch den Großen Garten ziehen. Die Blumen stehen gut im Saft, es hat viel geregnet die letzten Tage. Dahlien und Tagetes, Salbei und Canna strahlen um die Wette. Doch Seegert, seit drei Jahren Gartendirektorin, hat eine Melde erspäht, ein Wildkraut, das hier nicht hingehört. Spontan steigt sie ins Beet und zupft das Kraut heraus. „Es juckt mich in den Fingern, ich kann gar nicht anders.“ Picobello sollen die Beete aussehen, besonders in diesem Jahr. Denn der Große Garten, Keimzelle und Kernstück der Herrenhäuser Gärten in Hannover, feiert sein 350-jähriges Bestehen.

Der Welfen-Herzog Johann Friedrich setzte 1675 den ersten Spatenstich für den Garten vor seiner Sommerresidenz, dem damals frisch errichteten Schloss Herrenhausen bei Hannover. Heute gehört die Anlage zu den bedeutendsten Barockgärten Europas - 2015 wurde er als bester historischer Garten ausgezeichnet. Ein genaues Gründungsdatum ist nicht überliefert, doch am 23. August soll das Jubiläum in Hannover mit einem großen Sommerfest gefeiert werden.

„Die Herrenhäuser Gärten sind ein Ort, der Geschichte atmet und dennoch offen für die Zukunft ist“, sagt Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Für Hannover sind die Gärten, zu denen auch ein Landschaftsgarten und ein Botanischer Garten zählen, der Publikumsmagnet Nummer eins: Rund 600.000 Besucher aus aller Welt lassen sich jedes Jahr von ihrer Blumenpracht verzaubern.

Sie erleben dabei authentische Einblicke in die Gartenkunst des Barockzeitalters. Schnurgerade Wege lenken die Blicke, Beete und Hecken formen sich zu Ornamenten, weiße Sandstein-Figuren aus der griechischen und römischen Mythologie setzen optische Akzente. Hinzu kommen Springbrunnen und Fontänen, Treppen und eine Grotte. Nichts ist hier dem Zufall überlassen, alles ist regelmäßig und symmetrisch angeordnet. Damit folgt der Große Garten dem Geist des Rationalismus: Der Mensch prägt die Natur. Allein die Buchsbaum-Hecken schlängeln sich über 15 Kilometer.

„Dass wir heute noch einen so außerordentlich gut erhaltenen Barockgarten haben, grenzt an ein Wunder“, sagt Seegert, die auch als Professorin für Pflanzenverwendung an der Universität Hannover tätig ist. Denn viele Barockgärten in Deutschland wurden später in Landschaftsgärten umgewandelt. „Das ist in Hannover ausgeblieben.“ Hintergrund ist die sogenannte Personalunion zwischen Hannover und Großbritannien: 1714 erbten die Welfen-Fürsten den englischen Königsthron und zogen nach London. Der Garten in der alten Heimat blieb unbeachtet zurück. „Als die Welfen 1837 wieder zurückkehrten, beschlossen sie, das Erbe der Väter und Mütter in Ehren zu halten und den Garten so zu belassen, wie er ist.“

Für das rund 50-köpfige Garten-Team bedeutet die Pflege der Anlage heute jede Menge Arbeit. Jäten, Krauten, Wässern: Das ganze Jahr über ist viel zu tun. „Bei uns werden sämtliche verblühten Blüten ausgeputzt, damit es immer schön ist“, erzählt die stellvertretende Gartenmeisterin Maike Schleifer. Im Sommer schneiden ihre Leute rund 20 Kilometer Hainbuchen-Hecken. „Die Akkuschere wiegt acht Kilo. Wenn man die den ganzen Tag trägt, hat man einen doppelten Oberarm.“

Rund 50 Hektar umfasst der Barockgarten, soviel wie 70 Fußballfelder - und jede Woche ist Rasenmähen angesagt. Im Mai und im Oktober wird die gesamte Blumenbepflanzung ausgewechselt, damit der 800 Meter lange Garten im Sommer wie im Winter gut aussieht. Allein im Frühjahr werden 60.000 Blumen per Hand eingesetzt und später wieder ausgegraben. „In den Beeten kann ich ihnen jede einzelne Pflanze zeigen“, sagt die gelernte Staudengärtnerin Schleifer, die schon 43 Jahre lang in den Herrenhäuser Gärten beschäftigt ist.

Dass der Große Garten bis heute so viele Gäste hat, ist auch einer Frau zu verdanken, deren Denkmal zwischen Hecken und Beeten bewundert werden kann: der Kurfürstin Sophie von Hannover (1630-1714). Sie und ihr Mann gaben dem zunächst eher kleinen Garten ab 1680 sein heutiges Aussehen, weil Herzog Ernst August zum Kurfürsten aufrückte und repräsentative Anlagen brauchte. „Der Garten ist mein Leben“, soll Sophie gesagt haben.

Die Fürstin war in Holland aufgewachsen und ließ den Garten im holländischen Stil ausbauen, mit Graften, Wassergräben, an den Seiten. An holländische Vorbilder erinnert auch die Blumenpracht, die heute üppiger ausfällt als zu Zeiten von Kurfürstin Sophie. „Weil die Originalpläne im Krieg verloren gegangen sind, sind wir frei in der Gestaltung“, sagt Direktorin Seegert, die alle Farben und Formen bis ins Detail hinein plant.

Für die Zukunft macht sich das Team vor allem Sorgen wegen des Klimawandels. Aufgrund der vielen Niederschläge sind im Winter schon Pflanzen regelrecht ertrunken. Im Sommer sind die Blumen oft bei großer Hitze der prallen Sonne ausgesetzt. Und wegen des wärmeren Wetters machen sich Pilze und Schädlinge breit, die den Pflanzen zusetzen. „Wenn man über 40 Jahre hier arbeitet“, sagt Gärtnerin Maike Schleifer, „dann sieht man, was inzwischen anders läuft.“ Doch sie ist stolz auf ihren Garten: „Wenn Beet für Beet schön wird, was will man mehr? Das ist der tollste Job, den man haben kann.“

Von Michael Grau (epd)