"Es kann nicht sein, dass ich aus meinem Haus vertrieben werde"
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"Es kann nicht sein, dass ich aus meinem Haus vertrieben werde" - Hauseigentuemer wehren sich gegen exorbitante Erbbauzinsen
Hauseigentümer wehren sich gegen exorbitante Erbbauzinsen
Lüneburg, Hannover (epd).

Andrea Kommert sitzt auf der Terrasse ihres freistehenden Hauses in ruhiger Lage und lässt den Blick über den herrlichen Garten schweifen. Es könnte ein Paradies sein, wenn die Zukunftsaussichten nicht so düster wären: Wegen steigender Erbbauzinsen muss die 62-Jährige fürchten, ihr Heim bald aufgeben zu müssen. Das Haus haben sie und ihr inzwischen verstorbener Ehemann mehr als zwanzig Jahre mühsam abbezahlt, um das Leben im Alter zu sichern und es schließlich der Tochter zu vererben.

Was die beiden im Jahr 2000 nicht ahnen konnten, als sie ihr Haus in der Lüneburger Weststadt kauften: Wie in allen größeren Städten Niedersachsens erklommen die Bodenpreise und die daran gekoppelten Erbbauzinsen ab 2012 astronomische Höhen - und steigen bis heute. In Lüneburg sind rund 10.000 Menschen davon betroffen.

Kommerts Haus steht auf Grund der Klosterkammer Hannover. Derzeit zahlt sie für die Nutzung einen Zins von nur 670 Euro im Jahr. Möglich macht dies ein Vertrag aus den 1950er Jahren. Damals war der Bodenrichtwert per Gesetz auf 4 DM pro Quadratmeter fixiert, verschwindend wenig gemessen an den heutigen Bodenpreisen. Doch der Vertrag endet 2031. Vor zwei Jahren habe die Klosterkammer Kommert einen neuen Vertrag angeboten, erzählt sie - mit einem Zins von 9.300 Euro jährlich, also 775 Euro im Monat.

Heute müsste sie sich bereits auf rund 900 Euro im Monat einlassen, sagt Kommert, die in der Gebäudereinigung arbeitet. „Ich werde voraussichtlich 815 Euro Rente bekommen.“ Ihr zweiter Ehemann, der mit ihr im Haus lebt, bekomme 1.000 Euro Rente. „Auch gemeinsam können wir 900 Euro Erbbauzins und 500 Euro Wohnnebenkosten nicht bezahlen.“ Wenn die Klosterkammer ihr nicht entgegenkomme, müsse sie das Haus mit großem Verlust verkaufen. „Davon werde ich mir in Lüneburg nicht einmal eine Ein-Zimmer-Wohnung kaufen können.“

Die Bodenverteuerung bringt Erbbaurechtsnehmer vielerorts in Niedersachsen in existenzielle Bedrängnis, beispielsweise auch in Hannover und Osnabrück. Denn nicht nur die Klosterkammer, auch Grundbesitzer wie Kommunen und die großen Kirchen in Deutschland sehen sich gezwungen, die Zinsen in Neuverträgen stark anzuheben. Es gelte, Vermögenswerte für die Allgemeinheit zu erhalten, lautet das stets vorgebrachte Argument. Und tatsächlich unterhält die Klosterkammer nur einen Kilometer von Kommerts Haus entfernt die prächtige Klosterkirche St. Michaelis aus dem 14. Jahrhundert - geistliches Zentrum des früheren Klosters, auf dessen einstigem Grund Kommerts Haus steht.

Die Lüneburgerin hat sich einer Bürgerinitiative angeschlossen, die sich für sozialverträgliche Erbbauzinsen einsetzt. Ihre Nachbarin Annegret Kühne ist eine der Sprecherinnen. Die Initiative fordert von der Stadt und der Klosterkammer, bei der Festlegung der Zinsen den Grundsatz der Angemessenheit zu wahren. Die Initiative hat hierfür ein Berechnungsmodell vorgelegt, das Erhöhungen von bis zu 600 Prozent vorsieht - anstelle der derzeit üblichen Steigerungsraten von bis zu 1.700 Prozent.

Inwieweit sich die Stadt und die Klosterkammer auf den Vorschlag einlassen, ist noch völlig offen. Dabei ist das Thema schon seit Jahren in der Landespolitik angekommen, auch weil die Klosterkammer als Landesbehörde dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur zugeordnet ist. In zwei Gesprächen mit der Initiative habe Minister Falko Mohrs (SPD) aber nicht viel versprechen können, sagt Kühne. Immerhin habe er Problembewusstsein signalisiert und ein gemeinsames Gespräch mit der Klosterkammer im Sommer 2025 in Aussicht gestellt.

Angesprochen auf die dramatische Lage vieler Hausbesitzer, bleibt Kammerdirektor Matthias Nagel vage: Schon seit vielen Jahren biete die Klosterkammer in Neuverträgen verbesserte Konditionen, betont er gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Außerdem überlegen wir aktuell, wie wir gerade in Hochpreisgebieten wie Lüneburg Lösungen entwickeln können, die den Stiftungsinteressen nicht zuwiderlaufen, mit der wir aber den Erbbaurechtsnehmern entgegenkommen könnten. Ich bin mir sicher, dass wir eine vernünftige Regelung finden werden.“

Ein anderer Lüneburger, der ebenfalls auf Klosterkammergrund in der Weststadt wohnt, ist mit dem Vertrag zufrieden, den er vor einigen Jahren lange vor Ablauf des alten Vertrages unterschrieben hat. Er zahle jetzt rund 400 Euro im Monat, sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. Aus seiner Sicht haben viele Hausbesitzer die steigenden Zinsen zu lange verdrängt und sich auf den Altverträgen ausgeruht. „Wegen der immer größeren Zinssprünge wachen viele jetzt auf und beschweren sich, die meisten gehören aber zum soliden Mittelstand.“ Dennoch gebe es soziale Härtefälle, und für die leiste die Bürgerinitiative eine verdienstvolle Arbeit.

Andrea Kommerts Hoffnung, dass die Klosterkammer eine Lösung entwickelt, die ihr persönlich hilft, hält sich in Grenzen. „Ich bin zwar nur ein Einzelschicksal, aber ich bin eines von vielen Einzelschicksalen“, sagt sie wütend. Dass die Klosterkammer Kirchengebäude erhält und soziale Projekte fördert, sei schön und gut. „Aber es kann doch nicht sein, dass ich dafür aus meinem Haus vertrieben werde - und damit selbst zum Sozialfall werde.“

Von Urs Mundt (epd)