Auf dem Steinweg
s:53:"Im Harz unterwegs auf den Spuren der Steinway-Fluegel";
Im Harz unterwegs auf den Spuren der Steinway-Fluegel
Im Harz unterwegs auf den Spuren der Steinway-Flügel
Seesen (epd).

Zum Glück spielt das Wetter mit: Die Sonne scheint, die Wanderung verspricht eine gute Fernsicht. Fröhlich plätschert das Flüsschen Schildau durch den Steinway-Park am südöstlichen Ende von Seesen im Harz. Dunkelgrün schimmert das Wasser in den Teichen. Eine Info-Tafel neben der Konzertmuschel markiert den Startpunkt für den „Steinway-Trail“. Der kulturgeschichtliche Wanderweg führt auf den Spuren der Klavierbauer-Dynastie Steinweg/Steinway über rund 14 Kilometer nach Wolfshagen. Denn diese Gegend ist die Heimat der Instrumentenbauer, die es zu Weltruhm brachten.

Der in Wolfshagen geborene Heinrich Engelhard Steinweg (1797-1871) kam 1825 nach Seesen, ließ sich als Tischler nieder und baute in seinem Wohnhaus ab 1836 seine ersten Klaviere und Flügel. Im Jahr 1850 wanderte er in die USA aus. Dort nannte er sich Henry E. Steinway und gründete in New York seine erfolgreiche Firma. In den damals zersplitterten deutschen Landen hatte Steinweg für seine Klaviere keine Verkaufschancen mehr gesehen.

Im Seesener Museum prangt auf einem Podest der wuchtige Flügel, den der Instrumentenbauer 1853 als erstes Klavier in New York fertigte. An der Wand hängen Fotos des Steinweg’schen Hauses in Seesen, eine Reproduktion der Verkaufsanzeige, ein Gemälde zeigt Meister Heinrich Engelhard Steinweg beim Klavierbau.

Zwölf Kinder hat Steinwegs Frau Juliane in Seesen zur Welt gebracht, drei sind kurz nach der Geburt gestorben, sechs emigrieren mit dem Ehepaar. Der älteste Sohn Theodor bleibt zunächst in Deutschland und gründet in Braunschweig die Klavierfabrik „C. F. Theodor Steinweg“. Als auch er in den USA gebraucht wird, verkauft er sie und tritt ebenfalls in die Firma des Vaters „Steinway & Sons, New York“ ein. Die Braunschweiger Fabrik heißt fortan „Grotrian-Steinweg“.

Mit zahlreichen Patenten revolutionieren vor allem die Brüder Theodor und Henry jr. den Instrumentenbau. Sie gelten als Schöpfer des modernen Klaviers. Ihr jüngerer Bruder William (1835-1896) steuert kaufmännisches Talent zum Erfolg des Unternehmens bei. Auf seine Initiative hin kommt es 1880 zur Gründung von „Steinway & Sons, Hamburg“. Nach der Eröffnung weiterer Filialen unter anderem in Tokio und Schanghai übernimmt 1972 der Medienkonzern CBS das Unternehmen, 2013 geht es für mehr als 500 Millionen Dollar an den Hedgefonds-Manager John Paulson.

William Steinway bleibt auch aus der Ferne Seesen verbunden. Er unterstützt die Armen der Stadt mit Spenden und lässt mit seinem Geld den Kurpark anlegen. Zum Dank ernennen ihn die Stadtväter zum Ehrenbürger. Die Eröffnung des Parks im Jahr 1899 erlebt William nicht mehr. An ihn erinnert dort aber, neben einem der Teiche, ein zwei Meter hoher Gedenkstein aus Granit. Williams Kopf ziert als überdimensionierter Scherenschnitt auch das Dach der Konzertmuschel.

Markiert mit einem stilisierten Flügel, der mal auf Felssteine gemalt, mal als große Holzskulptur am Wegrand aufgestellt ist, ist der „Steinway-Trail“ kaum zu verfehlen. Gelegentlich mäßig ansteigend, bisweilen einige Bäche querend, windet sich der Weg in nordwestlicher Richtung in den Harz hinein.

Insgesamt acht Info-Tafeln in Form des Rim - so wird das Gehäuse des Flügels bezeichnet - erzählen unterwegs die Geschichte der Steinwegs/Steinways und vermitteln Hintergrundinformationen zum Klavierbau in Deutschland und in aller Welt. Weitere Spuren aus dem Leben der Familie Steinway finden sich im Wald aber nicht. Allerdings soll Heinrich Steinweg genau hier vor seinem Umzug nach Seesen des Öfteren entlang spaziert sein, um seine spätere Frau zu besuchen.

Immer wieder bieten sich Ausblicke über das Leinetal hinweg bis ins Weserbergland. Große Flächen mit abgestorbenen Fichten, aus denen einzelne verkrüppelte Bäume ragen, sind Hinweise auf die fortschreitende Klimakrise wie auf erzhaltiges Gestein im Boden. Der Harz war seit dem Mittelalter eine bedeutende Bergbauregion; Silber, Kupfer, Blei und später auch Zink wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein in großem Stil abgebaut.

Nach knapp vier Stunden in gemächlichem Tempo erreicht man Wolfshagen. 2.300 Einwohner leben in dem Luftkurort, viele vom Tourismus. In der Ortsmitte, gegenüber der Bushaltestelle, steht als Blickfang ein hölzerner Flügel. Er soll natürlich an Heinrich Engelhard Steinweg erinnern, den prominentesten Sohn des Dorfes. Das Haus, in dem er geboren wurde und aufwuchs, sucht man allerdings vergeblich. In der Straße, die heute Fuhrmannsweg heißt, hängt nur noch eine Info-Tafel. Das Gebäude selbst wurde 1906 durch ein Feuer zerstört. Das Taufbecken in der evangelischen St.-Thomaskirche, in dem Heinrich getauft wurde, ist aber noch zu besichtigen - der 1739 fertiggestellte und denkmalgeschützte Bau ist zugleich die größte Fachwerkkirche im Braunschweiger Land.

Von Reimar Paul (epd)