Wen vermisst du? Hast du schon mal ein totes Tier gefunden? Die Illustratorin Antje Damm stellt Kindern auch schwierige Fragen. Man dürfe sie nur nicht damit allein lassen, sagt sie.
Gießen (epd). Auf dem Schreibtisch stehen kleine Kästen mit Stiften in allen Farben, daneben liegen Pinsel, Lineale und Scheren. Am Fenster hängen silberne Blechbüchsen, aus denen Pflanzen herausschauen. Überall lehnt, liegt, klebt Gemaltes und Gebasteltes - so sieht es also im Arbeitszimmer einer Künstlerin aus. Antje Damm wischt schnell ein paar Papierschnipsel von der Tischplatte und lacht. „Eigentlich habe ich gerade gar kein Projekt. Aber ich muss immer etwas tun: Basteln oder zeichnen oder schnitzen.“
Seit 25 Jahren veröffentlicht Antje Damm, die in einem Dorf in der Nähe von Gießen wohnt, Kinderbücher. Jetzt erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Gesamtwerk als Illustratorin. Eine tolle Auszeichnung, die bisher nur wenige Künstlerinnen erhalten haben, freut sie sich.
„Frag mich!“ wurde ein internationaler Erfolg
Antje Damms Mutter war Lehrerin, der Vater Architekt. „Ich bin mit Büchern und mit Kunst groß geworden.“ In Darmstadt studierte sie Architektur und arbeitete zehn Jahre als Architektin. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter begann sie zu malen, veröffentlichte kleinere Sachen in einem Schweizer Verlag und ging dann mit ihrem Bilderbuch „Frag mich!“ zum Frankfurter Moritz-Verlag.
Es ist ein Buch voller Fragen an Kinder: Wo möchtest du einmal wohnen? Wen vermisst du? Was kannst du besser als deine Eltern? Was macht dich wütend? Zu jeder Frage stellte Antje Damm ein anderes Bild, mal gezeichnet, mal als Collage oder ein Foto. „Ich hatte keinen Stil, sondern habe wild drauflos illustriert“, erzählt sie. Das Buch wurde international ein Erfolg.
Buch landete auf Bestsellerliste der „New York Times“
Inzwischen veröffentlicht sie pro Jahr ein bis zwei Bücher. Sie experimentiert mit Fotos, Modellbau, Papier, Pappe oder Scherenschnitt. Für „Der Besuch“ baute sie Räume aus Karton, setzte Figuren hinein, beleuchtete und fotografierte sie. 2018 landete das Buch auf der Bestsellerliste der „New York Times“ für die weltweit zehn besten Bilderbücher.
Antje Damm gibt viele Workshops in Kindergärten und Schulen, dabei stellt sie häufig Fragen aus „Frag mich!“. Eine lautet: „Hast du schon einmal ein totes Tier gefunden?“ Die Künstlerin sagt: „Da ist man schnell beim Thema Tod.“ Sie erlebt bei den Kindern eine „Grund-Neugier“, die es ermögliche, auch schwierige Fragen zu besprechen. Man dürfe die Kinder nur nicht mit solchen Fragen allein lassen.
Kinder sollen sagen: „Das kann ich auch“
Aus einer Ecke neben dem Schreibtisch zieht sie einen kniehohen Holzkasten hervor: ein Kamishibai. Sie verwendet das aus Japan stammende Papiertheater in Workshops und bestückt den Kasten mit Bildern aus ihren Büchern: „Es ist dann wie ein kleines Theater.“ Damm bastelt mit den Kindern zum Beispiel Scherenschnitte, mit denen sie selbst Theater spielen dürfen. „Die Kinder sind ganz verrückt danach.“ Einem Jungen fiel einmal auf, dass an einem von Damms Modellen noch Kleber zu sehen war. Antje Damm belässt solche Spuren absichtlich, ihre Werke sollen nicht perfekt sein. „Die Kinder sollen nicht vor Ehrfurcht erstarren, sondern sagen: Das kann ich auch.“
Was sie traurig und wütend macht: Wenn Kindergärten und Grundschulen keine eigenen Bibliotheken haben. In Frankreich etwa sei das üblich, es sichere auch den Autorinnen und Autoren ein Einkommen. In vielen Haushalten gebe es keine Bücher mehr, oft werde zu Hause nicht mehr vorgelesen. Die Künstlerin weiß, wie wichtig der Umgang mit Büchern ist: Die Kinder müssten lernen, die Bilder zu lesen, die Bücher anfassen, ansehen, nachspielen. Erst daraus entwickele sich später die Fähigkeit, Texte zu verstehen.
Schildkröte Agathe gibt es wirklich
Antje Damm, die vier Töchter hat, fordert die Kinder auch mit ihren Büchern. Es kommen Themen wie Alter, Krankheit und Einsamkeit vor. „Regenwurmtage“ erzählt von einem Mädchen, das auf dem Schulweg Regenwürmer rettet und deshalb von der Lehrerin einen Rüffel kassiert. Das Mädchen ist sie selbst, Antje Damm hat die Geschichte genau so erlebt. Hinten im Buch klebt der Eintrag der Lehrerin in Antjes Hausaufgabenheft.
Auch Damms neuestes Buch „Agathe - Papas Schildkröte und ich“, das im Frühjahr erscheint, erzählt anhand einer Schildkröte ein Stück Familiengeschichte. Agathe gibt es wirklich. Sie ist 80 Jahre alt und überwintert gerade im Kühlschrank.
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