
Das Städel-Museum in Frankfurt am Main widmet einem großen deutschen Nachkriegskünstler eine Schau. Werner Tübke entwickelte seinen eigenen Stil quer zur Mode im Westen, und er ließ sich nicht von der DDR-Propaganda vereinnahmen.
Frankfurt a.M. (epd). „Werner Tübke ist einer der eigenwilligsten Maler der deutschen Nachkriegszeit“, führt die Kuratorin Regina Freyberger in die neue Schau des Städel-Museums in Frankfurt am Main ein. Tübke (1929-2004), einer der Hauptvertreter der Leipziger Schule, stand in einem spannungsvollen Verhältnis zum DDR-Regime. Als Mitarbeiter der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zwischenzeitlich für Jahre entlassen, „hat er das Realistische immer wieder unterlaufen und das Konkrete ins Allgemeine, ins Schwebende übersetzt“, beschreibt Freyberger. Erst recht entwickelte Tübke seine figürliche und traditionsverbundene Kunst konträr zur abstrakten Kunst und Pop-Art im Westen. „Seine Kunst ist eine zutiefst subjektive, eine kühne Entscheidung in der DDR“, findet Freyberger.
„Sternstunde für das Städel“
Anlass für die vom 2. Juli bis 28. September geöffnete Ausstellung „Werner Tübke. Metamorphosen“ ist „eine Sternstunde für das Städel“, wie Museumsdirektor Philipp Demandt es nennt: Die Sammler Eduard und Barbara Beaucamp haben ihre Sammlung von 46 Zeichnungen und einzelnen Aquarellen aus allen Schaffensperioden Tübkes dem Städel geschenkt. „Werner Tübke ist ein Solitär in der deutschen Nachkriegskunst“, beschreibt Demandt. „Seine Werke fordern uns heraus, das Menschliche im Abgründigen, das Zeitlose im Historischen und das Wahre im Verfremdeten zu erkennen.“
Ausstellung in fünf Kapiteln
Die Ausstellung gruppiert die Werke in fünf Kapiteln. In den Selbstdarstellungen zeigt sich Tübke häufig in Stellvertreterfiguren des Harlekins oder Narren. Die Zeichnung „Harlekin am Strand“ (1965), in der er sich mit Harlekin-Kopfschmuck halb begraben unter einem umgestürzten Baum darstellt, soll auf einer Leipziger Bezirkskunstausstellung Anstoß erregt haben. Historische Ereignisse gestaltete Tübke im Rückgriff auf die Kunstgeschichte. So erinnern Werke des Zyklus „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ (1965-1967) über die NS-Terrorjustiz an Darstellungen der christlichen Passionsgeschichte. Einen abgemagerten Häftling zeichnete Tübke in der Pose des Gekreuzigten („Gekreuzigter“, 1965).
Landschaften und Alltagsszenen sind weitere Kapitel gewidmet, und in den „Fabeln“ treten in mythologischen und biblischen Motiven Außenseiter der Gesellschaft auf. Zu letzteren gehört etwa der unter einer Decke im Rollstuhl verhüllte Pilger in „Lourdes“ (1977). Auch persönliche Leiderfahrung verarbeitete der Künstler: In „Heimkehr verlorener Kinder“ (1978) schreiten zwei Mädchen-Engel zu einem Leidensmann mit gesenktem Haupt. Zwei Jahre zuvor ließen sich Tübke und seine Frau scheiden. Die Mutter erhielt das Umgangsrecht für die beiden Kinder, die nur zu vereinbarten Zeiten den Vater besuchen durften.
Grundkonflikte des Menschen
Das größte Werk des Künstlers, an dem er länger als ein Jahrzehnt arbeitete, ist das Monumentalgemälde im Panorama-Museum in Bad Frankenhausen zum Gedenken an den Bauernkrieg vor 500 Jahren. Tübke habe das Scheitern der Aufständischen gemalt und sei darin anti-ideologisch gewesen, charakterisiert Kuratorin Freyberger. Der Künstler orientierte sich bei der Gestaltung an den alten Meistern. Es gebe nur wenige menschliche Grundkonflikte, habe er gesagt: „Liebe, Tod, Verzweiflung, das steht alles im Alten Testament.“
Werner Tübke zähle zu den eindrücklichsten figurativen Künstlern der deutschen Nachkriegskunst, fasst Direktor Demandt zusammen. Tübke reflektiere die Komplexität der Welt mit ihren existenziellen Fragen, Nöten und Konflikten. „Dabei beweist er ein feines Gespür für die Verletzlichkeit des Menschen, der als Individuum im Mittelpunkt seiner Kunst steht.“
Ausstellung: http://u.epd.de/3fbm