Bischöfin Hofmann: Kirche schaut bei Missbrauch besser hin
s:79:"Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW)";
Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW)

Die kurhessen-waldecksche Kirche will Strukturen, die sexuellen Missbrauch ermöglichen und Täter schützen, besser verstehen. Eine Studie über einen konkreten Fall aus den 1980er-Jahren zeigt, wie schwer das ist und welche Funktion Gerüchte haben.

Kassel (epd). Es gibt keine allgemeingültigen Konzepte, die sexuelle Gewalt sicher in jeder Institution oder Kirchengemeinde verhindern können. Das haben die Autorinnen der Studie „Sexualisierte Gewalt durch einen hessischen evangelischen Gemeindepfarrer in den 1980er Jahren“ am 4. November in Kassel bei der Vorstellung der Studie betont. Es gehe immer um spezifische Bedingungen, die Täter ausnutzen. Der Evangelischen Kirche für Kurhessen und Waldeck (EKKW) helfe die von ihr beauftragte Studie zu verstehen, welche Strukturen einen Täter und dessen jahrelangen Missbrauch geschützt haben, sagte die Bischöfin der EKKW, Beate Hofmann.

„Täter müssen wissen, dass wir nicht mehr wegschauen“, betonte Hofmann und gestand „schwerwiegende Fehler“ der Kirche ein. „Durch kirchenleitendes Versagen ist großes Leid nicht verhindert, sondern verlängert worden.“ Für die Zukunft gelte es, Menschen sprachfähig zu machen und zu bestärken, eigene Grenzen zu setzen.

Anlass der Studie waren Übergriffe eines Pfarrers aus Fuldatal-Ihringshausen

Im Jahr 2023 hatte die EKKW bei der Universität Kassel die Studie in Auftrag gegeben. Der Anlass waren sexuelle Übergriffe an mehreren Personen durch den Pfarrer in der Kirchengemeinde Fuldatal-Ihringshausen im Landkreis Kassel in den 1980er-Jahren. Als die Taten bekannt wurden, waren sie strafrechtlich verjährt. Von einem kirchlichen Gericht wurde der Pfarrer 2022 wegen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen verurteilt. Ihm wurden die Versorgungsansprüche und die Ordinationsrechte entzogen.

Das Forschungsprojekt habe die damalige Situation in der Gemeinde rekonstruiert, die durch den starken Wandel der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in den 1970er und 1980er Jahre geprägt gewesen sei, sagte die Juristin Theresa Höynck von der Uni Kassel. Die Jugend- und Konfirmandenarbeit habe sich verändert, es ging um Mitbestimmung und den Abbau von Hierarchien zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Werte und Normen hätten sich verschoben, was der als theologische, pädagogische und kirchengestaltende Ausnahmefigur beschriebene Pfarrer für sich ausgenutzt habe.

Hohe Sensibilität für Machtverhältnisse notwendig

Wie auch die 2024 veröffentlichte ForuM-Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche thematisierten die Kasseler Autorinnen die theologische und pädagogische Deutungshoheit und Macht, die mit dem Pfarramt verbunden ist. Die Situation des Wandels hätte in einem anderen Kontext möglicherweise zu ganz anderen Ergebnissen geführt, sagte Projektleiterin Mechthild Bereswill. Dies zeige, dass Prävention eine hohe Sensibilität für die Machtverhältnisse im jeweiligen Kontext erfordere.

Gerüchte als Hinweis auf Gewalt ernst nehmen

Deutlich geworden sei zudem die doppelte Bedeutung von Gerüchten, sagte Bereswill. Sie erlaubten Menschen den Austausch über Verdachtsmomente und hätten gleichzeitig eine entlastende Funktion. Man könne das Gesagte zurücknehmen, ohne jemanden zu belasten.

Diese Analyse des Gerüchts müsse die Kirche dazu bringen, mit ihnen anders umzugehen, sagte Bischöfin Hofmann: „Es gilt, sie als Hinweis auf mögliche Gewalt ernst zu nehmen, ohne damit Verleumdung oder Mobbing zu befördern.“

www.ekkw.de ; Link zur Studie: http://u.epd.de/3mcq

Von Renate Haller (epd)