Fast ein Jahr nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt erleben Migranten in Sachsen-Anhalt weiterhin Bedrohungen und Ablehnung. Das Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen (Lamsa) sprach am Mittwoch in Magdeburg von einer „Welle rassistischer Gewalt“. Der Anschlag habe bei den Menschen im Land tiefe Wunden gerissen. „Doch wir Migranten sind ebenso Teil dieser verletzten Gesellschaft“, sagte die stellvertretende Lamsa-Geschäftsführerin Mika Kaiyama. Es habe vermehrt Übergriffe und Pöbeleien, Hakenkreuze an Türen oder Hassnachrichten im Internet gegeben. Mit Beginn des Gerichtsverfahrens zum Weihnachtsmarktanschlag im November habe dies noch zugenommen.
In Magdeburg war am 20. Dezember 2024 ein in Sachsen-Anhalt lebender Arzt aus Saudi-Arabien mit dem Auto über den Weihnachtsmarkt gerast und hatte sechs Menschen getötet. Vielfach herrsche ein Klima der Unsicherheit und Angst, hieß es weiter. Selbst Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland lebten, als Krankenschwestern, Ärzte oder Unternehmer arbeiteten, würden sich kaum noch allein auf die Straße trauen, hieß es. „Wir brauchen Schutz und Solidarität“, sagte Djamel Amelal, Vorstandsmitglied des Islamischen Kulturcenters Halle (Saale).
Frauen mit Kopftuch werden angegriffen
Vor allem Frauen mit Kopftuch würden angepöbelt, bespuckt oder tätlich angegriffen. Auch von der Politik würden sie kaum Unterstützung erhalten, sagte Amelal. Dies zeige sich beispielsweise durch wachsenden Widerstand im Stadtrat von Halle gegen die Erweiterungspläne der Gemeinderäume.
Migrantenorganisationen einbinden
Die Migrantenorganisationen forderten von Politik und Behörden landesweit ein stärkeres Einschreiten gegen Gewalt und Ausgrenzungen. Migrantenvereine müssten als legitime demokratische Akteure auf Augenhöhe anerkannt werden, forderte Kaiyama. Zudem sei es nicht förderlich, wenn Gelder für Deutschkurse oder Integrationsprojekte gekürzt würden. Die Migrantenorganisationen seien seit Jahren integraler Bestandteil der Zivilgesellschaft und Brückenbauer. Sie könnten helfen, Konflikte in der Nachbarschaft zu entschärfen und mit ihrer Expertise die kommunale Politik und Behörden unterstützen.
„Stadtbild“-Debatte nicht hilfreich
Die Lamsa-Vorstandsvorsitzende Elena Herrmann, die selbst eine Unternehmensberatung und Bildungsagentur leitet, betonte: „Die aktuelle Migrationsdebatte kostet uns nicht nur Zusammenhalt, sondern auch wirtschaftliche Chancen.“ So fänden Unternehmen keine Arbeitskräfte, während seit Jahren ansässige Fachkräfte oder Studenten mit Migrationshintergrund sich nicht mehr sicher fühlten. Vor diesem Hintergrund sei die durch Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgelöste „Stadtbild“-Debatte eher kontraproduktiv gewesen. „Wir sind Teil der Gesellschaft. Wir tragen selbst zum Zusammenhalt bei. Das wollen wir nicht einfach aufgeben“, ergänzte Herrmann.
Lamsa vertritt nach eigenen Angaben 120 migrantische Organisationen und Einzelpersonen in Sachsen-Anhalt. Ende 2024 lebten in Sachsen-Anhalt rund 189.000 Ausländer. Damit lag der Ausländeranteil bei 7,7 Prozent und war deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.