
Waldbaden, Waldpädagogik, Waldspaziergang: Wälder stehen bei vielen Menschen hoch im Kurs. An heißen Sommertagen bieten sie Abkühlung, sie erhöhen die Luftqualität, Waldspaziergänge oder Joggingrunden reduzieren Stress und heben die Laune. „Wenn es den Wald nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“, sagt Klaus Merker.
Der 63-Jährige ist Präsident der Niedersächsischen Landesforsten (NLF) - und das bereits seit 20 Jahren. 2005 wurden die NLF gegründet, Hauptsitz des öffentlichen Unternehmens ist Braunschweig. 1.300 Menschen arbeiten für die Landesforsten - von der Bürokraft bis zum Hydro-Geologen. 250 Revierförster bewirtschaften 330.000 Hektar Landeswald, das entspricht knapp einem Drittel des niedersächsischen Waldes - darunter die Waldgebiete in Harz, Solling und Heide. Auf mehr als zehn Prozent der Fläche überlassen die Landesforsten den Wald seiner natürlichen Entwicklung.
Insgesamt verfügt Deutschland über eine Waldfläche von etwa 11,5 Millionen Hektar, 30 Prozent der Landesfläche. Damit zählt Deutschland zu den waldreichsten Ländern Europas. Über die meisten Forstflächen verfügt Finnland mit mehr als 70 Prozent Waldanteil.
Zu den Niedersächsischen Landesforsten gehört auch der Misburger Wald. Die 520 Hektar grüne Lunge liegt zwischen Autobahnen, Hauptverkehrsstraßen und Wohnbebauung. Wer den Wald betritt, lässt die Welt draußen. Der Lärm der Straße und das Bimmeln der Stadtbahn verklingen, würzig-kühle Luft empfängt die Besucher, es riecht nach Moos und Holz.
Merker atmet tief durch. „Holz ist für mich der Rohstoff schlechthin“, sagt der gelernte Tischler und Förster. Er blickt zu den Bäumen: Eichen, Eschen, Eiben, Ulmen, Hain- und Rotbuchen. Der Misburger Wald ist ein Mischwald. Es gibt 20-jährige, noch filigrane Gehölze, aber auch viele majestätische Bäume, die bis zu 200 Jahre alt sind. Ihre Kronen reichen 20 bis 30 Meter weit in den Himmel und lassen an diesem Sommertag kaum Licht durch.
Möbel, Dachstühle, Fensterrahmen, Instrumente: Holz lässt sich aus dem Alltag der Menschen nicht wegdenken. Das Ernten des Holzes sei die Hauptaufgabe der Forstwirtschaft, sagt Merker. Zu 80 bis 85 Prozent finanzierten sich die NLF aus dem Holzeinschlag. Weitere Tätigkeitsfelder, aus denen der Forstbetrieb Einnahmen erzielt, sind Friedwälder, ökologische Dienstleistungen, wie etwa Ausgleichsmaßnahmen für Bodenversiegelungen, sowie Umweltbildung und touristische Angebote. Zudem betreiben die NLF elf Waldpädagogikzentren, für Kinder, ebenso wie Erwachsene. Auch der Verkauf von Wildbret ist ein Geschäftszweig der Landesforsten, denn rund 27.000 Tiere, Rot-, Schwarz-, Damm-, Muffel- und Rehwild werden jährlich in den Landesforsten erlegt.
Merker geht weiter durch den Misburger Wald. Den Boden nimmt er dabei ebenso aufmerksam in den Blick, wie die Bäume und ihre Kronen. Zwischen Sand, Moos und Efeu liegen abgestorbene Stämme und Äste. „Das ist Totholz - aber es lebt“, erklärt der Förster augenzwinkernd. Pilze, Insekten, Bakterien zersetzten das Holz und trügen so zur Bildung von nährstoffreicher Erde bei. „Hier ist einfach alles stimmig“, schwärmt Merker. Das Ökosystem Wald, Fotosynthese, Biomasse- und Wasserkreislauf, ihre Bedeutung für Klima, Umwelt, Mensch und Tier, all das sei eine „Zauberformel.“
Eine Formel, die laut Waldzustandsbericht des Jahres 2024 nicht mehr überall aufgeht. Der deutsche Wald sei krank, vier von fünf Bäumen hätten Schäden, viele Bäume litten noch immer unter den Hitze- und Dürreperioden der letzten Jahre, heißt es im Bericht. Diese Sorge teilt die Naturschutzorganisation WWF. Sie warnte jüngst vor „eskalierenden Waldbränden“ in Deutschland. Allein im Jahr 2023 seien in Deutschland 1.240 Hektar verbrannt, was 157 Prozent des langjährigen Durchschnitts entspreche. Besonders betroffen seien leicht entzündliche Kieferwälder, naturnahe Laubmischwälder seien deutlich weniger anfällig für Brände als reine Nadelwälder.
Merker nickt. Man müsse nur in den Harz mit seinen Fichten und in die Heide mit ihren Kiefern blicken, um zu sehen, dass Monokulturen anfälliger seien - das gelte für den Borkenkäfer ebenso wie für Hitze, Dürre und Brände. Wichtig ist dem Landesforst-Präsidenten, dass die Menschen wissen, warum es Monokulturen überhaupt gibt. Während des Krieges seien nicht nur Städte zerstört, sondern auch Wälder übernutzt worden. Dazu kamen Reparationszahlungen in Form von Holz an die Engländer, erklärt er. „Die Aufforstung musste zügig gehen, deswegen wurden schnell wachsende Bäume gepflanzt, von denen viel Saatgut verfügbar war - wie Fichten und Kiefern.“
Das größte Problem mit dem Klimawandel sei, wie schnell er sich vollziehe, sagt Merker. Eigentlich seien Bäume resilient und in der Lage, Phasen von Trockenheit mit ihren meterlangen Wurzeln zu überstehen. Bäume trügen ein genetisches Muster in sich, das es ihnen erlaubte, sich anzupassen. Doch dieser Prozess brauche Zeit. „Es wäre gut, wenn der Klimawandel uns eine Verschnaufpause gönnen würde.“
Von der Diskussion um hitzeresistente Baumarten hält der Förster nicht viel. Man könne zwar sagen, dass manche Bäume besser mit Trockenheit umgehen könnten als andere, „aber ich denke nicht, dass man heute wissen kann, was der Zukunftsbaum sein wird.“ Mischwälder wie der Misburger Wald seien die beste Antwort auf den Klimawandel. „Vielfalt ist gut, weil sie Entwicklungsmöglichkeiten in alle Richtungen offenlässt“, sagt Merker.