Soziologe warnt vor Gefährdung der Demokratie durch radikale Proteste
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Traktoren blockieren Strassen
Göttingen (epd).

Der Göttinger Soziologe Berthold Vogel sieht in den Bauernprotesten und den Streiks der Lokführer Anzeichen für eine sich verändernde Protestkultur in der deutschen Gesellschaft. Die Formen würden radikaler, die Ziele allgemeiner, sagte Vogel in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es geht bei den Protesten mehr und mehr um die eigene Stellung in der Gesellschaft, um die Anerkennung der eigenen Leistung für das gesellschaftliche Ganze.“ Zugleich warnte er davor, dass die Radikalisierung des Protests die Demokratie gefährden könne.

Wenn wie bei den Bauern-Demonstrationen Politikerinnen und Politiker bedroht würden, habe das mit Protest nichts zu tun, sagte der Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen. Er wundere sich, dass Teile der Opposition solchen Auswüchsen nur halbherzig widersprächen oder sogar Verständnis äußerten. „Die Demokratie stirbt von innen. Ich halte es für brandgefährlich, wenn Minister oder politische Funktionsträger gegen den Staat oder die Politik wettern - als wären sie nicht selbst Teil von Staat und Politik.“ Demokratie brauche Zusammenhalt und Fairness, gerade in Zeiten, „in denen auf uns alle viele und zum Teil sicher auch unangenehme Veränderungen zukommen“.

Demokratien hätten das Potenzial, sich selbst zu stärken, aber eben auch sich selbst zu schwächen. Das sollte bei aller Kritik an einer demokratisch gewählten Regierung immer im Blick bleiben, forderte der Soziologe. „Unsere Gesellschaft ist viel stärker, leistungs- und veränderungsfähiger, als zur Zeit von vielen Seiten behauptet wird.“ Dabei müssten die berechtigten Interessen unterschiedlicher Berufsgruppen im Blick behalten werden. Zudem müssten Kirchen, Gewerkschaften und auch die Wissenschaft diejenigen unterstützen, die nicht die Kraft und die Macht hätten, ihre Interessen durch laute Proteste durchzusetzen.

Bei den Bauernprotesten spiele nicht nur der Agrardiesel eine Rolle, sondern das Verhältnis von Stadt und Land insgesamt. Die Landbevölkerung habe zunehmend das Gefühl, dass ihre Probleme etwa mit der schlechten Infrastruktur nicht beachtet, ihre Leistungen nicht anerkannt würden, sagte Vogel.

Der Soziologe riet deshalb der Politik, offensiver zu kommunizieren, wie die Gesellschaft sich verändern müsse. Sie müsse zeigen, „dass man eine Idee hat, wohin diese Gesellschaft gehen muss - sozial, wirtschaftlich, ökologisch“. Auf die Bauernproteste bezogen, müsse die Bundesregierung ganz konkret immer wieder erklären, wie Arbeitsbedingungen im Agrarsektor in Zukunft aussehen könnten und wohin die Landwirtschaft sich entwickeln solle.

epd-Gespräch: Martina Schwager