
Eine von psychisch kranken Menschen wirksam erstellte Patientenverfügung kann Zwangsbehandlungen ausschließen. Genehmigt dennoch ein Gericht die Zwangsmaßnahme, liegt eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit vor, entschied der Bundesgerichtshof.
Karlsruhe (epd). Psychisch kranke Menschen dürfen in einer korrekt erstellten Patientenverfügung ärztliche Zwangsbehandlungen verbieten. Setzt sich ein Gericht dennoch über diesen formulierten Patientenwillen hinweg und genehmigt eine Zwangsmaßnahme, wird das Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit und Integrität verletzt, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 5. Mai veröffentlichten Beschluss klar. Sei die Verfügung von einem Gericht als wirksam eingestuft worden, könne es die Zwangsbehandlung nicht wegen fehlender „rationaler Überlegung“ des Betroffenen erlauben, so die Karlsruher Richter.
Im Streitfall ging es um eine Frau aus Dresden, die seit 2021 wegen ihrer paranoiden Schizophrenie mehrfach in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht war. Am 29. September 2022 verfasste sie eine Patientenverfügung. Darin legte sie fest, dass sie nicht mit Neuroleptika und Antidepressiva zwangsweise behandelt werden solle. Lediglich für den Fall eines „später diagnostizierten Parkinson“ machte sie eine Ausnahme.
Amtsgericht genehmigte Zwangsbehandlung
Als das Amtsgericht Dresden auf Antrag ihrer Betreuerin Ende September 2024 die Unterbringung der Frau in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis zum 7. November 2024 genehmigte, schloss das auch die zwangsweise Gabe von Medikamenten zur Behandlung ihrer Schizophrenie ein. Nach Ende der Zwangsbehandlung wollte die Frau die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen lassen.
Das Landgericht Dresden hielt die Zwangsbehandlung für rechtmäßig. Weil die Frau keinerlei Krankheitseinsicht zeige, müsse die notwendige Heilbehandlung auch gegen ihren Willen erfolgen. Auch die Patientenverfügung aus dem Jahr 2022 stehe einer Zwangsbehandlung nicht entgegen. Die Betroffene sei bei der Erstellung der Verfügung geschäftsfähig gewesen, so dass sie als wirksam anzusehen sei. Die Verfügung sei aber „kein Ergebnis rationaler Überlegung“ gewesen, weil die Patientin nicht in der Lage gewesen sei, „die Frage der Behandlung rational abzuwägen“.
Wirksame Verfügung ist bindend
Der BGH entschied nun jedoch, dass das Landgericht die zwangsweise Gabe der Medikamente nicht hätte genehmigen und sich nicht über die wirksame Patientenverfügung hätte hinwegsetzen dürfen. Eine Patientenverfügung stehe der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen, „wenn die Patientenverfügung wirksam errichtet wurde, eine Regelung zu Zwangsbehandlungen enthält und auch in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll“. Das sei hier der Fall, entschied der BGH.
Für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung müsse auch keine Geschäftsfähigkeit vorliegen. Es reiche aus, dass die Betroffene beim Verfassen ihres Patientenwillens über eine „natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ verfügt habe. Hier sei das Landgericht sogar von der Geschäftsfähigkeit der Frau ausgegangen. Widersprüchlich sei aber dann die Annahme, dass die Patientenverfügung trotz Geschäftsfähigkeit nicht auf dem Ergebnis „rationaler Überlegung“ beruhe und der Frau so die erforderliche Einsichtsfähigkeit abgesprochen wurde.
Landgericht muss Fall erneut prüfen
Damit sei die Beschwerdeführerin durch die ärztliche Zwangsbehandlung in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Integrität verletzt worden, so der BGH. Das Landgericht müsse zudem erneut prüfen, inwieweit die Frau in der Psychiatrie untergebracht werden durfte.
Am 8. Juni 2021 hatte auch das Bundesverfassungsgericht den hohen Stellenwert von Patientenverfügungen betont. Eine Zwangsbehandlung dürfe nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Patienten hätten ein Recht auf „Freiheit zur Krankheit“. Das schließe das Recht mit ein, „auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese (...) dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann“, erklärten die Verfassungsrichter im Fall eines psychisch kranken, im Maßregelvollzug untergebrachten Straftäters.
Voraussetzung sei aber, dass die Patientenverfügung wirksam „unter freiem Willen“ verfasst wurde. Untersage diese Verfügung eine Zwangsbehandlung, die allein dem Schutz des Patienten dienen soll, müssten Ärzte und Pflegekräfte sich daran halten. Anderes könne jedoch gelten, wenn die Zwangsmaßnahme auch zum Schutz anderer Menschen erforderlich sei, etwa, um tätliche Angriffe des Patienten zu verhindern. Hier müsse stets geprüft werden, ob die dann zulässige Zwangsbehandlung verhältnismäßig sei, so die Verfassungsrichter.
Im konkreten Fall müssten die Fachgerichte noch einmal darüber entscheiden, ob die Patientenverfügung wirksam vom Beschwerdeführer verfasst wurde und ob die Zwangsmedikation auch dem Schutz Dritter diente, entschied das Bundesverfassungsgericht.
Az.: XII ZB 547/24 (Bundesgerichtshof)
Az.: 2 BvR 1866/17 und 2 BvR 1314/18 (Bundesverfassungsgericht)