Angehörige: Bei Betreuung Vorrang vor Berufsbetreuer
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Bundesgerichtshof in Karlsruhe

Hilfebedürftige Menschen sollten rechtzeitig eine ihnen passende Person als möglichen Betreuer bestimmen. Andernfalls haben geeignete Angehörige bei der Betreuerbestellung Vorrang vor einem Berufsbetreuer, entschied der Bundesgerichtshof.

Karlsruhe (epd). Bei der Auswahl eines Betreuers für eine hilfebedürftige Person haben Angehörige regelmäßig Vorrang vor einem Berufsbetreuer. „Ein Angehöriger, der zur Übernahme der Betreuung bereit ist, darf grundsätzlich nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn er hierfür nicht geeignet ist“, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 24. April veröffentlichten Beschluss klar. Nicht geeignet sei der Angehörige, wenn er „die Wünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten“ nicht ermitteln und umsetzen sowie den hierfür erforderlichen Umfang an persönlichen Kontakt nicht halten kann, befand das Gericht.

Konkret ging es in dem Fall um eine 1934 geborene, in einem Pflegeheim lebende Frau aus dem hessischen Gelnhausen. Sie hatte nach einer Reanimation und Beatmungsmaßnahmen eine Hirnschädigung erlitten. Folge waren eine Sprachstörung - eine sogenannte Aphasie - und schwere psychische Störungen. Um ihre rechtlichen Angelegenheiten kann sie sich nicht mehr kümmern.

Amtsgericht entzog dem Sohn die Betreuung

Zunächst hatte der Sohn vorläufig die Betreuung für die Seniorin übernommen. Doch dann bestellte das Amtsgericht Gelnhausen einen Berufsbetreuer. Der Sohn sei nicht geeignet, die rechtlichen Angelegenheiten seiner Mutter wahrzunehmen, so die Begründung des Amtsgerichts.

Das Landgericht Hanau stimmte dem zu und verwies auf das bislang „wenig vernünftige“ Verhalten des Sohnes. So habe er nachts die Mutter im Pflegeheim aufgesucht und den dort geregelten Ablauf gestört. Er habe wiederholt die Bettdecke seiner Mutter hochgehoben und an ihrer Windel genestelt. Übergriffig wirke seine Schilderung, dass er in der Vergangenheit mit seiner Mutter das Bett geteilt habe.

Der Sohn legte Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Dieser verwies das Verfahren an das Landgericht zurück und gab dem Sohn dem Grunde nach recht. Grundsätzlich könne eine hilfebedürftige Betroffene selbst entscheiden, wen sie als Betreuer haben möchte. Habe sie - wie im vorliegenden Fall - niemanden als Betreuer vorgeschlagen, hätten regelmäßig Angehörige wie Ehegatten, Eltern oder Kinder Vorrang bei der Betreuerauswahl, so das Gericht.

Familienmitglieder werden in der Regel vorgezogen

Ein familienfremder Berufsbetreuer dürfe demnach nur berücksichtigt werden, wenn niemand sonst für eine Betreuung geeignet sei. Eine fehlende Eignung könne es bei erheblichen Interessenkonflikten geben oder bei einem zu befürchtenden Missbrauch durch den potenziellen Betreuer.

Im Streitfall habe das Landgericht aber nicht alle relevanten Umstände berücksichtigt. Zwar habe es bei der Betreuung vorrangig den Sohn in den Blick genommen, diesen aber als nicht geeignet angesehen. Das habe das Gericht mit seinen nächtlichen Besuchen im Pflegeheim und seinem übergriffigen Verhalten begründet. Es habe aber nicht die Erklärung des Sohnes berücksichtigt, sich in künftigen Ausnahmesituationen anders verhalten zu wollen.

Auch die Pflegeeinrichtung habe das Verhalten des Sohnes mit dessen emotionaler Betroffenheit begründet. Im Laufe der Zeit habe er aber Vertrauen in das Pflegeheim und dessen Betreuungspersonal gefasst und die Fachkräfte bei der Pflegearbeit entlastet. Das Landgericht müsse das bei der Betreuerauswahl mit beachten, entschied der BGH.

Eigene Interessen müssen zurückstehen

In einem weiteren Beschluss vom 22. Januar 2020 entschied der BGH, dass Angehörige, die ihre eigenen Interessen über die des Betreuten stellen, als nicht geeignet angesehen werden können. Im Streitfall hatte die Mutter einer intelligenzgeminderten Frau sich dagegen gewandt, dass ihr geschiedener Mann und Vater der 25-Jährigen die Betreuung weiter ausübt.

Ihr Antrag, dass sie als Betreuerin eingesetzt werde, wurde zwar abgelehnt und in Folge eine Berufsbetreuerin bestellt. Aber auch der Vater sei für die Betreuung nicht geeignet, entschied der BGH. So habe er sich bei seinen Entscheidungen nicht nur vom Wohl seiner Tochter, sondern auch von seinem eigenen Konflikt mit der Mutter leiten lassen.

Er habe der Tochter das Mobiltelefon weggenommen, weil sie häufig bei ihrer Mutter und ihrer Schwester angerufen hatte. Diese Kontakte seien aber wichtig gewesen und hätten dem Interesse und Wohl der 25-Jährigen gedient, so der BGH. Der Vater sei nicht bereit, diese Kontakte zu fördern, sondern versuche sogar, sie zu unterbinden. Daher sei er als Betreuer nicht „geeignet“, entschied der BGH.

Az.: XII ZB 260/24 (Bundesgerichtshof, Angehörige, Vorrang Betreuung)

Az.: XII ZB 329/19 (Bundesgerichtshof, geeignete Betreuung)

Frank Leth