Diabetes: Gericht erschwert höheren Grad der Behinderung bei Kindern
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An Diabetes Typ I erkrankte Kinder und Jugendliche können eine Schwerbehinderung nur bei gravierenden Beeinträchtigungen der Lebensführung verlangen. Gute Schulnoten sprechen eher gegen solch eine schwerwiegende Benachteiligung, urteilte das Landessozialgericht Celle.

Celle (epd). Eine intensivierte Insulintherapie mit täglich mehrfachen Blutzuckermessungen bei einem an Diabetes erkrankten Kind oder Jugendlichen rechtfertigt noch nicht die Anerkennung einer Schwerbehinderung. Wenn das Kind gute Schulnoten habe, Freundschaften pflege und ein normales, altersgerechtes Verhalten zeige, weise das trotz der notwendigen Unterstützung durch Betreuungspersonen nicht auf „gravierende Beeinträchtigungen der Lebensführung“ hin, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in zwei am 23. sowie am 24. April veröffentlichten Urteilen. Diese Einschränkungen seien aber für die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 erforderlich, erklärten die Celler Richter.

Im ersten Verfahren war der zehnjährigen Klägerin, die an Diabetes Typ I erkrankt ist, ein Grad der Behinderung von 40 zuerkannt worden. Das Mädchen wollte jedoch einen GdB von 50 und damit die Anerkennung als Schwerbehinderte erreichen. Ihre Eltern verwiesen auf ihren Pflegegrad 2. Um einen stabilen Blutzuckerwert in der Grundschule zu gewährleisten, sei sie auf einen Integrationshelfer angewiesen. Seit der für die weiterführende Schule nicht mehr genehmigt worden sei, seien Konzentrationsschwierigkeiten und auffälliges Verhalten aufgetreten, so die Begründung.

Eltern: Hoher Aufwand an Begleitung und Betreuung

Besuche bei Freunden seien nur in Begleitung eines Elternteils möglich, damit die Insulindosis stets sicher angepasst werden könne. Für die Therapie müsse ihre Tochter deutlich mehr begleitet und betreut werden, als das bei Gleichaltrigen üblich sei. Die erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität begründe einen GdB von 50, so die Argumentation.

Im zweiten Fall führte der ebenfalls an Diabetes Typ I erkrankte 14-Jährige an, dass die Teilnahme an üblichen Freizeitaktivitäten einen erheblichen planerischen Aufwand erfordere. Er müsse sich viermal täglich Insulin spritzen, sei durch regelmäßig erhöhte Blutzuckerwerte an Nachmittagen in seiner Freizeit stark eingeschränkt und könne häufig nicht am Sportunterricht teilnehmen. Das und die beschränkte Lebensmittelauswahl führten zu einer gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung. Der ihm zuerkannte GdB von 40 sei deshalb zu niedrig, meinte er.

Landessozialamt lehnte Anträge ab

In beiden Verfahren lehnte das Niedersächsische Landessozialamt einen GdB von 50 ab. Die Behörde verwies auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Dezember 2014. Die Kasseler Richter hatten im Fall eines erwachsenen Diabetikers geurteilt, dass es bei der Zuordnung eines GdB auf eine Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche ankomme. Es müssten „gravierende“ Einschränkungen in mehreren Lebensbereichen vorliegen. Dabei seien „strenge Anforderungen“ anzulegen.

Das LSG urteilte in beiden aktuellen Verfahren, dass die Kläger keinen GdB von 50 beanspruchen können. Nach der Versorgungsmedizin-Verordnung wird, so das LSG, bei Diabetikern, deren Therapie eine Unterzuckerung auslösen kann und bei denen die Lebensführung beeinträchtigt ist, je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der jeweiligen Blutzuckereinstellung, ein GdB von 30 bis 40 anerkannt.

Entscheidend ist erheblich eingeschränkte Lebensführung

Ein GdB von 50 kann Diabetikern zuerkannt werden, die bei variierendem Blutzuckerspiegel mindestens vier Insulininjektionen täglich benötigen und die durch die „Auswirkungen des Diabetes insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt“ sind.

Zu den mit der Insulintherapie verbundenen Einschnitten müssten zusätzliche Faktoren hinzukommen, etwa wenn der Betroffene durch die schlechte Blutzuckereinstellung „in seiner Leistungsfähigkeit und damit in seiner Teilhabefähigkeit am Leben in der Gemeinschaft erheblich beeinträchtigt ist“. Einzelne Einschränkungen beim Reisen oder bei der Nahrungsaufnahme stellten noch keine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung dar, so das Gericht.

Zwar könnten bei Kindern und Jugendlichen besondere Risiken bestehen. Starke psychische Probleme bis hin zu selbstverletzendem Verhalten seien eine mögliche Folge. Nur wenn diese Probleme tatsächlich aufträten, könne das zu einem GdB von 50 führen.

Demgegenüber seien die Kläger in der Schule beliebt, hätten viele Freunde, gute Noten und zeigten ein altersgerechtes Verhalten. Eine erforderliche elterliche Überwachung und Begleitung stelle dabei noch keine „gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung“ dar, befand das LSG. Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum BSG zugelassen.

Az.: L 13 SB 60/23 (LSG Celle, Kind mit Diabetes)

Az.: L 13 SB 90/23 (LSG Celle, Jugendlicher mit Diabetes)

Az.: B 9 SB 2/13 R (BSG)

Frank Leth