Bundesgerichtshof erleichtert Mietern Nachweis für Gesundheitsgefahr
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Bundesgerichtshof in Karlsruhe

Vermieter müssen unter Umständen auf eine Kündigung wegen Eigenbedarfs bei suizidgefährdeten Mietern verzichten. Mieter müssen die Gesundheitsgefahr infolge drohenden Wohnungsverlusts nicht zwingend mit einem ärztlichen Attest belegen, urteilte der Bundesgerichtshof.

Karlsruhe (epd). Bei einer Eigenbedarfskündigung des Vermieters ist regelmäßig die Wohnung zu räumen. Führt der drohende Wohnungsverlust bei schwer kranken Mietern jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung oder gar zu einer Suizidgefahr, kann aus Härtegründen das Mietverhältnis fortbestehen. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 12. Mai veröffentlichten Urteil entschied, muss der Mieter als Beleg für seine Gesundheitsgefährdung auch nicht zwingend ein fachärztliches Attest vorlegen.

Im entschiedenen Rechtsstreit ging es um einen Mieter aus Berlin-Neukölln. Nach mehr als 13 Jahren erhielt er von seiner Vermieterin eine Kündigung wegen Eigenbedarfs. Als sein Widerspruch gegen die Kündigung erfolglos blieb, zog er vor Gericht. Er führte an, dass ein Umzug zu einer deutlichen Verschlechterung seines Krankheitsbilds führen würde.

Stellungnahmen von Therapeuten

Er sei an einer akuten Depression erkrankt, verbunden mit emotionaler Instabilität und Existenzängsten sowie Suizidgedanken, machte der Mieter geltend. Als Beleg für seinen schlechten Gesundheitszustand legte er zwei Belege über Psychotherapie vor. Darin hatte ein nach dem Heilpraktikergesetz zugelassener Psychotherapeut dem Mann bescheinigt, dass der Verlust der Wohnung als Lebensmittelpunkt die Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich verschlechtern werde, bis hin zu einem Suizid.

Dem Amtsgericht Neukölln und dem Landgericht Berlin reichte dies nicht. Der Kläger habe als Beleg für die drohende gesundheitliche Härte ein fachärztliches Attest vorlegen müssen.

Der BGH verwies den Streit allerdings zur weiteren Klärung an das Landgericht zurück. In vergleichbaren Fällen sei zwar immer ein fachärztliches Attest als Beleg für die drohenden Gesundheitsgefahren vorgelegt worden. Der Senat habe aber nur betont, dass ein derartiger Fall mit einem Attest untermauert werden könne. Doch auch eine „ausführliche Stellungnahme“ eines anderen „medizinisch qualifizierten Behandlers“ könne die gesundheitliche Härte für den Mieter untermauern, heißt es nun in dem neuen Karlsruher Urteil.

Hier habe der Kläger solche Stellungnahmen vorgelegt und damit eine Härte substanziiert vorgetragen. Reiche einem Gericht dies nicht aus, etwa weil der Behandler nur ein nach dem Heilpraktikergesetz zugelassener Psychotherapeut sei, müsse es ein Sachverständigengutachten einholen. Dies gebiete das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Auch unbefristeter Verbleib möglich

Am 26. Oktober 2022 betonte der BGH, dass bei einer erheblichen Suizidgefahr einer Mieterin auf eine Wohnungsräumung unter Umständen auch unbefristet verzichtet werden muss. Dies könne selbst dann gelten, wenn die Mieterin Therapien ablehnt.

Im entschiedenen Verfahren ging es um eine 80-jährige, psychisch kranke Frau, die seit dem 15. Juli 1977 zur Miete in einer Kölner Wohnung lebt. Als ihr Vermieter die Wohnung wegen Eigenbedarfs kündigte, wehrte sie sich. Sie leide an Depressionen, verbunden mit Suizidgedanken. Ein Auszug würde ihre gesundheitliche Situation erheblich verschlimmern. Der Vermieter bot ihr eine Ersatzwohnung an, was die Frau jedoch ablehnte.

Der Vermieter klagte und verwies auf ein früheres BGH-Urteil vom 22. Mai 2019. Danach könnten Mieter eine Eigenbedarfskündigung nicht mit einem pauschalen Verweis auf ihr Alter, ihre Gesundheit oder ihre lange Mietdauer aushebeln. Kranke Mieter, die eine Eigenbedarfskündigung erhalten haben, seien gehalten, ihren Gesundheitszustand zu verbessern, um die Wohnungsräumung letztlich zu ermöglichen. Im aktuellen Fall lehne die Mieterin aber jegliche Therapie zur Verbesserung ihres psychischen Zustandes ab.

Krankheitsbedingter Härtefall

Dennoch liege hier ein Härtefall vor, so dass die Mieterin nicht ausziehen müsse, entschied der BGH. Hier sei die Mieterin krankheitsbedingt gar nicht in der Lage, die Wohnung für eine stationäre Therapie zu verlassen. Sie sei auf den Verbleib in der Wohnung krankhaft fixiert. Aus dem gleichen Grund habe sie sich auch nicht auf das Angebot ihres Vermieters einlassen können, eine Alternativwohnung zu beziehen.

Da nach Angaben der Gutachter bei der Mieterin von einer unabsehbar, unvermindert und unbeherrschbar fortbestehenden erheblichen Suizidgefährdung auszugehen ist, habe das Landgericht Köln zu Recht die unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses bestimmt, urteilte der BGH.

Az.: VIII ZR 270/22 (Bundesgerichtshof zum ärztlichen Attest)

Az.: VIII ZR 390/21 (Bundesgerichtshof zur Suizidgefahr)

Az.: VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17 (Bundesgerichtshof zur Besserung des Gesundheitszustands)

Frank Leth