
In Deutschland sinkt die Zahl der Sozialwohnungen seit Jahren. Das hängt mit der sogenannten Sozialbindung zusammen: Läuft sie aus, werden Sozial- zu normalen Mietwohnungen. Gleichzeitig entstehen zu wenig neue öffentlich geförderte Wohnungen.
Berlin, Frankfurt a.M. (epd). Die Hochzeiten des sozialen Wohnungsbaus sind sieben Jahrzehnte her: 1956 entstanden in der Bundesrepublik mehr als 450.000 Sozialwohnungen neu - mehr als in jedem anderen Jahr vorher und nachher, wie die Bundeszentrale für politische Bildung unter Berufung auf Forschungsergebnisse des Darmstädter Politikwissenschaftlers Björn Egner in einer Abhandlung über die Wohnungspolitik in Ost- und Westdeutschland verzeichnet.
Ende der 1960er Jahre war demnach fast jede dritte Mietwohnung (knapp 30 Prozent) in Westdeutschland öffentlich gefördert. Mittlerweile ist nicht einmal mehr jede 20. Mietwohnung eine Sozialwohnung, wie das kommunalpolitisch ausgerichtete Hannoveraner Pestel-Institut aus dem Zensus 2022 errechnet hat: Vor drei Jahren gab es bundesweit mehr als 23,5 Millionen Mietwohnungen, davon weniger als 1,1 Millionen (4,6 Prozent) Sozialwohnungen. Mittlerweile (Stand Ende 2024) ist der bundesweite Bestand an Sozialwohnungen auf 1,05 Millionen geschrumpft.
Berechtigung ist eher „Versorgungslotterie“
Unerlässlich ist der sogenannte Wohnberechtigungsschein: Er weist nach, dass eine Person oder Familie, wenn ihr Einkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet, die günstigen Mieten im sozialen Wohnungsbau in Anspruch nehmen darf.
Doch selbst wer den Berechtigungsschein vorweisen kann, hat keine Gewähr, tatsächlich eine der günstigen Wohnungen beziehen zu können, wie ein Fachartikel in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ aus dem vergangenen Jahr festhält: Nur für jeden zehnten der elf Millionen Haushalte mit Anspruch auf den Wohnberechtigungsschein stehe tatsächlich eine Sozialwohnung zur Verfügung: „Der Zuschlag zu einer Sozialwohnung kommt daher einer regelrechten 'Versorgungslotterie' gleich“, kritisieren die Autoren.
Eine Ursache des schwindenden Sozialwohnungsbestandes ist die sogenannte Sozialbindung - für Investoren ein Mangel. Läuft die Bindung aus, können Eigentümer die Wohnung zu marktüblichen Bedingungen vermieten. Der Bundesgerichtshof erklärte in einem Urteil im Februar 2019 (Aktenzeichen V ZR 176/17) eine unbefristete Sozialbindung für unwirksam. Gewähre der Staat Bauherren Vorteile wie beispielsweise ein Darlehen mit niedrigen Zinsen, komme eine langfristige Sozialbindung infrage, die so lange dauern könne wie die Laufzeit des günstigen Kredits - aber irgendwann müsse sie ein Ende haben.
Bindung ist für Mieterbund wichtigstes Instrument
Das wohnungspolitische Versprechen der von 2021 bis 2025 regierenden Ampel-Koalition lautete, Jahr für Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. „In der Realität lag der Wohnungsbau im Jahr 2022 bei rund 294.000 Wohnungen insgesamt und es wurden Förderzusagen für knapp 23.000 Sozialwohnungen im Neubau gegeben“, bilanziert das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, dem neben dem Deutschen Mieterbund und dem Pestel-Institut unter anderem die Caritas sowie die Gewerkschaft IG Bau angehören.
Der Mieterbund hielt in seinen Forderungen zur jüngsten Bundestagswahl fest, im Schnitt würden zwar rund 25.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr gebaut, „zugleich verlieren aber rund 65.000 solcher Wohnungen ihren zeitlich begrenzten Status als Sozialwohnung“. Der Bestand an Sozialwohnungen habe sich seit 2006 „fast halbiert“.
Der Mieterbund hält Sozialwohnungen „aufgrund der Mietpreis- und Belegungsbindung“ jedoch für das „mit Abstand wichtigste Instrument zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums“. Bis 2030 müsse die Zahl der Sozialwohnungen bundesweit auf mindestens zwei Millionen nahezu verdoppelt werden. Dafür seien jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen nötig und zusätzlich 75.000 bestehende Wohnungen, für die „Preis- und Belegungsbedingungen zu schaffen“ seien.
Bindungen dauern unterschiedlich lange
Dagegen begrüßt der Eigentümerverband Haus & Grund das BGH-Urteil von 2019: Der zuständige Referent Jakob Grimm nennt die Entscheidung aus Karlsruhe auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) „entscheidend, um privates Kapital weiterhin für den sozialen Wohnungsbau zu mobilisieren“. Er kritisiert zudem mangelnde soziale Treffsicherheit und häufige Fehlbelegungen trotz Wohnberechtigungsscheins. „Das Wohngeld ist aus unserer Sicht das zielgenauere und gerechtere Instrument, da es direkt bei den Bedürftigen ankommt“, betont der Haus & Grund-Referent.
Der Geschäftsführer des Pestel-Instituts, Matthias Günther, erklärt auf epd-Anfrage, in den 1950er und 1960er Jahren sei „teils mit einer Bindung von 80 Jahren gearbeitet“ worden. Von Mitte der 1990er bis Mitte der 2010er Jahre seien „teils extrem kurze Bindungen von 12 Jahren üblich“ gewesen. Aktuell dauere die Sozialbindung im Schnitt 25 bis 35 Jahre.
Am Beispiel Nordrhein-Westfalen erläutert er den Bedarf an Sozialwohnungen: Im bevölkerungsreichsten Bundesland gebe es insgesamt rund 5,3 Millionen Mieterhaushalte. Etwa die Hälfte davon - etwa 2,65 Millionen - könnte vom Einkommen her einen Wohnberechtigungsschein beantragen. Tatsächlich gebe es aber nur rund 430.000 Sozialwohnungen. Diese Zahl werde „der Situation nicht gerecht“, meint Günther - „egal wie gerechnet wird“.