IAB-Forscher: Sanktionen beim Bürgergeld müssen verhältnismäßig sein
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Joachim Wolff

Kaum hat das Bürgergeld im Jahr 2023 Hartz IV abgelöst, da stellt die CDU mit ihrer „Neuen Grundsicherung“ ein eigenes Konzept vor. Sie will den Druck auf Arbeitslose erhöhen. IAB-Forscher Joachim Wolff ist skeptisch. Vor allem bei der geplanten Verschärfung von Sanktionen meldet er Bedenken an.

Nürnberg (epd). Sanktionen sind quasi immer das letzte Mittel, um bei Verweigerern Kooperation zu erreichen, betont Joachim Wolff. Aber, und das ist dem Forscher des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wichtig: „Sie müssen verhältnismäßig sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht klar betont.“ Er hält hohe Kürzungen nicht für den richtigen Weg. „Besser wäre es, das nicht über die Höhe der Kürzung zu regeln, sondern über die Dauer der verhängten Sanktion.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Die Frage, ob das noch neue Bürgergeld positive Wirkungen erzielt, kann noch nicht beantwortet werden. Dennoch hat die CDU angekündigt, es wieder abschaffen zu wollen und auch gleich einen neuen Begriff für diese Sozialleistung geschaffen: die „Neue Grundsicherung“. Was ist von dem Konzept zu halten, das zurück will zu Hartz IV mit verschärften Sanktionen?

Joachim Wolff: Das Vorhaben, das auf verschärfte Sanktionen setzt und verbindliche Eingliederungsvereinbarungen, um Rechte und Pflichten klar zu regeln, weist den Weg zurück zu mehr Fordern wie im vorangehenden System, das durch das Bürgergeld ersetzt worden ist. Aber der Vorschlag setzt nicht allein auf verstärktes Fordern, sondern enthält auch Elemente, die dazu führen könnten, dass Betroffene stärker unterstützt werden und auch die Arbeit der Jobcenter effektiver wird. Dazu sollen sie beispielsweise finanziell bedarfsgerecht ausgestattet werden. Das zielt klar auf eine bessere Qualität der Vermittlungsarbeit.

epd: Lässt sich dieses Konzept schon abschließend bewerten?

Wolff: Nein. Dazu braucht man sicher noch weitere Details. Vieles wird in den veröffentlichten Überlegungen noch nicht richtig klar. Also etwa, wie die bessere finanzielle Ausstattung der Jobcenter ausfallen soll, wo doch die öffentlichen Haushalte sehr angespannt sind. Offen ist auch, wie stark die Integrationsfachkräfte entlastet werden sollen durch weniger zu bearbeitende Fälle, um dann bessere Integrationsarbeit zu leisten.

epd: Die Union hat dennoch ein Konzept mit mehr Härten und mehr Druck zur Mitwirkung an der Jobintegration vorgelegt - Stichwort: komplette Streichung von Hilfen für die sogenannten Totalverweigerer. Gibt es Erkenntnisse über den Nutzen von Sanktionen, die diese Herangehensweise rechtfertigen?

Wolff: Zunächst die Anmerkung, dass ich den Begriff Totalverweigerer unangemessen finde und ihn deshalb nicht verwenden möchte. Der Personenkreis, den die Union in ihrer „Neuen Grundsicherung“ im Blick hat, ist nicht wirklich sauber statistisch abgegrenzt. Wir können hier nur auf die Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit schauen, die Leistungskürzungen aus verschiedenen Gründen ausweisen. Das, was da der Sache mit Blick auf die „Neue Grundsicherung“ am nächsten kommt, sind Leistungskürzungen wegen der Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder einer Fördermaßnahme. Schaut man sich diese Angaben für Februar bis November 2023 an, dann sind das 13.800 Fälle. Das wäre also so etwas wie eine Obergrenze. Hier sind auch die Sanktionen wegen Ablehnungen von vorgeschlagenen Stellenangeboten miterfasst, deren Zahl dann noch mal deutlich niedriger ausfällt.

epd: Ist diese Personengruppe in den zurückliegenden Jahren gewachsen?

Wolff: Das kann man leider statistisch nicht sauber erfassen, denn die vergangenen drei bis fünf Jahre sind denkbar ungeeignet, um dieses Thema zu beleuchten. Das hat den Hintergrund, dass wir viele verschiedene Entwicklungen hatten, die Auswirkungen auf die Arbeitsvermittlung und auch auf die Sanktionen hatten. Da war das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das zu Änderungen bei den Sanktionen führte. Wenige Monate später kam Corona. Die Epidemie hat dazu geführt, dass zeitweise Sanktionierungen bei fehlender Mitwirkung gar nicht möglich waren. Denn eine persönliche Vorsprache der Betroffenen, die als Voraussetzung für Sanktionen möglich sein muss, konnte ja wegen der Kontaktsperren in den Jobcentern gar nicht stattfinden. Also wurden die Sanktionen zeitweise ganz ausgesetzt. Schließlich ist noch das Sanktionsmoratorium aus dem Jahr 2022 zu nennen, bei dem es ein halbes Jahr lang bei Pflichtverletzungen keine Sanktionen gab. Es gab also viele Schwankungen, die aussagekräftige Analysen unmöglich gemacht haben. Und schließlich: Das neue Bürgergeld lässt sich wegen der kurzen Gültigkeit mit Blick auf die Leistungsminderungen - wie Sanktionen neuerdings bezeichnet werden - ebenfalls noch nicht exakt bewerten.

epd: Kann man Verweigerern überhaupt mit verschärften Sanktionen beikommen?

Wolff: Sanktionen sind quasi immer das letzte Mittel, um Kooperation zu erreichen. Aber, und das ist wichtig, sie müssen verhältnismäßig sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht klar betont. Ich denke, dass sehr hohe Kürzungen nicht der richtige Weg sind. Besser wäre es, wenn man denn striktere Leistungsminderungen haben will, das nicht über die Höhe der Kürzung zu regeln, sondern über die Dauer der verhängten Sanktion.

epd: Was ist generell zu sagen zum Sinn und Zweck von Sanktionen?

Wolff: Es geht dabei um Pflichten, die helfen sollen, die betroffenen Personen besser und schneller in Erwerbsarbeit zu bringen. Es geht also darum, einen kleinen Personenkreis, der arbeitsfähig und eben nicht krank ist, nicht mitwirkt, zum Umdenken zu bewegen. Dass das funktioniert, wissen wir schon deswegen, weil es Studien gibt, die nachweisen, dass Personen, die zuvor sanktioniert wurden, im Schnitt dann schneller eine Erwerbsarbeit aufgenommen haben. Aber man muss auch vorsichtig sein. Eine neue Untersuchung über einen längeren Zeitraum belegt, dass deren Beschäftigungsquote mittel- bis langfristig wieder niedriger als die anderer vergleichbarer Hilfebezieher ausfiel. Das heißt, sie nehmen zwar rascher Arbeit auf, behalten sie aber nicht dauerhaft.

epd: Das muss ja Gründe haben ...

Wolff: Ja, das hat damit zu tun, dass sie wegen der Leistungsminderung wohl eher Jobs angenommen haben, die unterhalb der Niedriglohnschwelle lagen. Da waren also auch einige nachteilige Wirkungen der Sanktionen zu sehen. Sie haben also durchaus einen Zweck, nämlich die Vermittlung zu beschleunigen und auch zu verbessern, aber es ist immer ein zweischneidiges Schwert. Das große Problem sehe ich vor allem dann, wenn Sanktionen sehr hoch ausfallen. Da kann es sehr kontraproduktive und kaum wünschenswerte Wirkungen geben, etwa dass Personen den Kontakt zum Jobcenter komplett abbrechen oder auch Wohnungsverlust oder Energiesperren. All das behindert oder verhindert dann den Integrationsprozess in Arbeit. Auch deshalb halte ich das Vorhaben der Union für schwierig, vor allem, wenn es um eine dauerhafte und womöglich vollständige Aussetzung von Hilfen geht.

epd: Sozialverbände und Arbeitslosen-Initiativen haben nach der Vorstellung der Neuen Grundsicherung darauf verwiesen, dass das Bundesverfassungsgericht 2019 in der Frage der Rechtmäßigkeit von Sanktionen die vollständige Verweigerung von Leistungen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten unterbunden hat. Betroffen wären dann ja auch Kinder und Partner in einer Bedarfsgemeinschaft. Wie soll das gehen?

Wolff: Dazu hat die Union in der Tat Aussagen gemacht und sieht vor, dass in Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften Kinder und Partner der sanktionierten Person nicht von der Leistungsminderung betroffen sein sollen. In solchen Fällen könnten die Leistungen für Wohnungen, die für alle Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft relevant sind, nach wie vor gezahlt werden und dann wohl anders überwiesen werden. Das wäre dann eine Frage der veränderten Zuweisung von Hilfen. Doch das ist bisher noch nicht konkret ausformuliert. Man weiß also nicht, wie das geregelt werden soll, aber die CDU hat dieses Problem sehr wohl erkannt.

epd: Die Union sieht im Bürgergeld schon immer eine Art bedingungsloses Grundeinkommen und macht wohl auch deshalb Front dagegen. Trifft das auf das Bürgergeld zu?

Wolff: Nein. Das Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, sonst hätten wir ja keine Regelungen zur Prüfung der Bedürftigkeit. Und es bräuchte auch keine Regelungen zu Pflichten, die erwerbsfähige Leistungsberechtigte einhalten müssen und deren Nichteinhaltung zu Leistungsminderungen führen kann. Aber korrekt ist, dass die Regelungen zum Fordern an Bedeutung verloren haben, was politisch von der Ampel gewollt ist.