Forscherin: Zur Höhe von Rücküberweisungen gibt es keine Daten
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Friederike Römer

Friederike Römer, Forscherin am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), betont: „Aus wissenschaftlicher Sicht sind Sozialleistungen kein relevanter Faktor, wenn es darum geht, Migration zu erklären.“ Im Interview mit epd sozial spricht die Expertin über Gründe für Migration, die Wirkung veränderter Pull-Faktoren und die Höhe von Rücküberweisungen als „populistische Vermutung“.

Berlin (epd). Laut Friederike Römer, promovierte Soziologin und Co-Leiterin der Abteilung Konsens und Konflikt im DeZIM, gibt es für Flucht keine einfachen Erklärungen. Doch Studien zu langfristigen globalen Trends zeigten, „dass Fluchtbewegungen vor allem von Bedingungen und Konflikten in den Herkunftsländern beeinflusst werden und weniger von der Aufnahmepraxis in den Zielländern“. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Ihr Institut sagt: „Die Diskussion um die Bezahlkarte stellt einen scheinbaren Zusammenhang von Migration und hohen Sozialleistungen her. Ein Zusammenhang, der bei näherer Betrachtung wissenschaftlich nicht belegt werden kann.“ Warum hält sich dieses Narrativ so hartnäckig?

Friederike Römer: Diese These hält sich so hartnäckig, weil sie zwei in der Gesellschaft verwurzelte Denkmuster kombiniert. Armen Menschen wird schnell unterstellt, selbst schuld an ihrer Situation zu sein. Hinzu kommen rassistische Zuschreibungen. Im Ergebnis wird Migrantinnen und Migranten dann unterstellt, Sozialleistungen zu missbrauchen. So eine stark vereinfachte Darstellung macht es leicht, Sozialleistungen zu kürzen und den Rückhalt für den Wohlfahrtsstaat in der Bevölkerung zu untergraben. Für bestimmte politische Akteure ist das nützlich.

epd: Was sind die Erkenntnisse aus der Forschung?

Römer: Aus wissenschaftlicher Sicht sind Sozialleistungen kein relevanter Faktor, wenn es darum geht, Migration zu erklären. Es gibt zwar Studien, die einen Zusammenhang finden, etwa die oft zitierte Studie „The Welfare Magnet Hypothesis: Evidence from an Immigrant Welfare Scheme in Denmark“ aus dem Jahr 2020. Allerdings kann diese methodologisch kritisiert werden. Ein Beispiel: Die genannten Zahlen zum Rückgang von Einwanderung können nicht eindeutig auf Kürzungen der Sozialleistungen zurückgeführt werden, da zeitgleich andere Reformen verabschiedet wurden. Die methodisch hochwertige Studie „Do Immigrants Move to Welfare? Subnational Evidence from Switzerland“ aus dem vergangenen Jahr zeigt dagegen deutlich, dass kein Zusammenhang besteht.

epd: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Faktoren, die als Grundlage für Entscheidungen von Flüchtlingen dienen, in welches Zielland sie reisen wollen, wenn es nicht die staatlichen Leistungen sind?

Römer: Für Flucht gibt es keine einfachen Erklärungen. Studien zu langfristigen globalen Trends zeigen, dass Fluchtbewegungen vor allem von den Bedingungen und Konflikten in den Herkunftsländern beeinflusst werden und weniger von der Aufnahmepraxis in den Zielländern. Wenn also sogenannte „Pull-Faktoren“ verändert werden, wirkt sich das wahrscheinlich auf Teilhabe und Wohlergehen Geflüchteter aus, aber wohl kaum auf ihre Zahl.

epd: Immer wieder ist zu lesen, dass gewaltige Geldsummen von Asylbewerbern hierzulande in ihre Heimatländer überwiesen werden, was ja durch die Bezahlkarte erschwert werden soll. Können Sie dazu vorliegende Daten nennen? Und auch einschätzen, ob die Bezahlkarte hier überhaupt als wirksame Transfersperre funktionieren kann?

Römer: Es gibt dazu keine direkten Daten. Aussagen zur Höhe von Rücküberweisungen beruhen auf anekdotischer Evidenz oder populistischen Vermutungen, nicht auf gesicherten Tatsachen. Mit Blick auf das Asylbewerberleistungsgesetz scheint es sehr unwahrscheinlich, dass riesige Summen zurücküberwiesen werden und so Flucht finanziert wird.

epd: Weil sie das meiste Geld für sich selbst brauchen?

Römer: Ja. Alleinstehende erhalten im Monat 460 Euro, eine Person in einem Paarhaushalt erhält 420 Euro. Mit diesen sehr geringen Beträgen müssen Personen alle notwendigen Bedarfe abdecken. Wenn Menschen von diesen geringen Leistungssätzen Geld sparen, um es an Familienangehörige im Herkunftsland zu senden, bedeutet das enorme zusätzliche Einschränkung und materielle Not. Ob die Bezahlkarte eine wirksame Transfersperre wäre, kann schwer eingeschätzt werden und diese Behauptung sollte nicht als Argument für die Karte herhalten.