Verband: Versorgungslücken mit internationalen Fachkräften schließen
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Bern Meurer

Der Präsident Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, fordert von der neuen Bundesregierung einen Kurswechsel bei der Anerkennung ausländischer Pflegekräfte. Mit der „Kompetenzvermutung“ könnten schnell zusätzliche Fachkräfte für die Versorgung der Pflegebedürftigen eingesetzt werden, erläutert er in seinem Gastbeitrag für epd sozial.

Geschätzt 11.000 bestens ausgebildete internationale Pflegekräfte warten derzeit in Deutschland auf ihre formelle Anerkennung. Sie haben eine dreijährige Ausbildung oder sogar ein Studium hinter sich und verfügen über die notwendigen Sprachkenntnisse. Trotzdem dürfen sie über Monate hinweg nicht als Fachkräfte eingesetzt werden - im Schnitt unglaubliche 500 Tage lang.

Während unterschiedliche Behörden mit sprichwörtlicher deutscher Gründlichkeit Zeugnisse und Ausbildungsinhalte abstempeln, warten Familien in Deutschland händeringend auf professionelle pflegerische Unterstützung. Sie müssen die Versorgung eines pflegebedürftigen Angehörigen ohne Hilfe organisieren und dafür immer häufiger die eigene Berufstätigkeit einschränken oder sogar komplett aufgeben.

Leerstände wegen Personalmangels

Das ist die Situation, auf die die neue politische Spitze des Bundesministeriums für Gesundheit trifft. Die drängendste Aufgabe aktuell ist, die Versorgungssicherheit für pflegebedürftige Menschen in unserem Land wiederherzustellen und damit eines der zentralen Versprechen eines funktionierenden Staates wieder in Kraft zu setzen: Wer alt ist und professionelle Hilfe braucht, findet auch einen ambulanten Dienst, einen Tagespflegeplatz oder einen Platz in einer vollstationären Pflegeeinrichtung. Die Pflegeheimplätze sind da, aber sie können nicht genutzt werden, weil das Personal fehlt.

Über die Hälfte der Pflegeheime in Deutschland ist derzeit nicht voll belegt. Rund 80.000 Plätze dürften derzeit leer stehen, obwohl der Bedarf so groß ist wie nie zuvor. Im ambulanten Bereich ist es das gleiche Bild: Mehr als 80 Prozent der Pflegedienste lehnen neue Kunden inzwischen ab oder streichen ihre Touren sogar zusammen - es fehlen einfach die Kräfte, die rausfahren können.

Um diese Kapazitäten wieder nutzen und mehr pflegebedürftigen Menschen ein Versorgungsangebot machen zu können, sind vor allem zusätzliche Fachkräfte und qualifizierte Assistenzkräfte notwendig. Weil die generalistische Pflegeausbildung auch Jahre nach dem Startschuss nicht auf die Überholspur kommt, ist der Zuwachs im Bereich der Fachkräfte in den vergangenen Jahren ausschließlich über zugewanderte Kräfte entstanden und stagniert laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Wer internationale Fachkräfte schnell in den Versorgungsalltag bringt, löst auf diesem Wege die existenziellen Probleme tausender Familien.

Verheddert im Zuständigkeitswirrwarr

Die Zeit der kleinen Schritte bei den Themen Zuwanderung und Anerkennung von Pflegekräften ist vorbei. In den vergangenen Jahren haben vorbildliche Bundesländer wie Bayern die Anerkennungsbehörden gestrafft und ausgebaut, andere verheddern sich noch immer im Zuständigkeitswirrwarr. Da wird an mehreren Stellen geprüft, Dokumente liegen monatelang in den Behörden und müssen dann aktualisiert beschafft werden.

Das ist das Gegenteil einer Willkommenskultur. Das ist das Signal: Wir brauchen euch zwar irgendwie, aber eure Fähigkeiten brauchen wir nicht. So werden gut ausgebildete Pflegekräfte, die schon in Kliniken in Dubai gearbeitet oder gestern noch im Libanon intubiert haben, frustriert. Manche geben auf und bleiben Assistenzkräfte, manche ziehen weiter, andere üben sich monatelang in Geduld und spüren in dieser Zeit die ständige Geringschätzung, wenn sie entgegen ihrer Fähigkeiten lediglich als Hilfskräfte eingesetzt werden.

Jetzt brauchen die Pflegebedürftigen den großen, den mutigen Wurf. Dafür haben wir als bpa gemeinsam mit dem Verband der Ersatzkassen (vdek) die „Kompetenzvermutung“ vorgeschlagen. Sie wechselt komplett die Perspektive, sie reduziert bürokratische Anforderungen und bringt schnell zusätzliche Fachkräfte in die tatsächliche Versorgung der Pflegebedürftigen. Und sie kostet nicht einen Euro Steuergeld.

Die Idee dahinter ist einfach: Mit der Kompetenzvermutung können internationale Pflegekräfte mit einer mindestens dreijährigen Ausbildung oder einem Studium sowie den notwendigen Sprachkenntnissen sofort als Fachkräfte eingesetzt werden und uns bei der Lösung unserer demografischen Probleme helfen. Weitere Prüfungen von Ausbildungsinhalten und gegebenenfalls notwendige Anpassungsmaßnahmen erfolgen erst im Anschluss.

Eine einfache Lösung

Damit ist Pflegebedürftigen und ihren Familien geholfen, die wieder eine professionelle Unterstützung finden, und Pflegekräften ebenso, die derzeit unter einer immer weiter zunehmenden Arbeitsverdichtung ächzen. Dass die Kritiker dieser einfachen Lösung stets die Versorgungsqualität als Gegenargument ins Feld führen, verwundert. Die Vorstandsvorsitzende des vdek, Ulrike Elsner, hat dazu schon vor Monaten klargestellt: „Vorfahrt erhalten nur internationale Pflegekräfte mit einer mindestens dreijährigen Ausbildung oder einem Studium. Sie müssen außerdem angemessene sprachliche Qualifikationen vorweisen. Damit sichern wir das Kompetenzniveau (…).“ Worauf also noch warten?

Alle gewinnen: Die Kapazitäten zur Versorgung der Pflegebedürftigen wachsen, die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte sinkt, das Vertrauen in den Staat steigt und selbst die Anerkennungsbehörden werden entlastet.

Natürlich sind an der Umsetzung viele staatliche Ebenen beteiligt, doch die Regelungsmöglichkeiten liegen beim Bund und damit bei der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Ihr Haus kann - zum Beispiel über die geplante zeitnahe Gesetzgebung zur Kompetenzerweiterung von Pflegekräften - eine entsprechende Regelung zur Gleichwertigkeit internationaler dreijähriger Ausbildungen und Studiengänge unter der Bedingung des Vorhandenseins der entsprechenden Sprachkenntnisse in Paragraf 40 Abs. 2a Pflegeberufegesetz verankern.

Bernd Meurer ist Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa).