Katholischer Verband: Familienleistungen sind nicht sicher
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Ulrich Hoffmann

„Im Koalitionsvertrag steht einiges zur Familie drin“, sagt Ulrich Hoffmann, Präsident des Familienbunds der Katholiken, im Interview mit epd sozial. Doch er schränkt gleich ein: „Vieles bleibt leider unkonkret. Es gibt wenig Verbindliches. Fast alles steht unter dem Vorbehalt der Finanzierung.“ - Kein gutes Omen.

Berlin (epd). Ulrich Hoffmann ruft die neue Bundesregierung auf, zentrale Projekte zugunsten von Familien wie die Reform des Elterngelds verbindlich zu finanzieren und gesetzlich zu verankern. Andernfalls bleibe „alles bloße Rhetorik. Familien brauchen Verlässlichkeit und keine Vertröstungen auf ungewisse Zeit“. Er stellt klar: „Es ist eine politische Entscheidung, ob man Haushaltsmittel für soziale Gerechtigkeit oder in anderen Bereichen einsetzen möchte.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Hoffmann, von mehreren Sozialverbänden war nach der Präsentation des Koalitionsvertrags von Union und SPD ein hartes Urteil zu hören: Der Vertrag verheiße nichts Gutes für Kinder und Familien, die in Armut leben. Gehen Sie da in dieser Rigorosität mit?

Ulrich Hoffmann: Wenn man sich die Präambel des Koalitionsvertrags anschaut, fällt positiv auf: Familien werden direkt benannt, ebenso die Bedeutung von Chancengleichheit und gesellschaftlicher Anerkennung. Das ist ein wichtiges Signal - allein schon, dass Familie nicht nur als privates Glück, sondern als politisches Anliegen ernst genommen wird. Im Verlauf der Koalitionsverhandlungen hatten wir die nicht ganz unbegründete Sorge, dass familienpolitische Themen hinten runterfallen könnten.

epd: Und jetzt?

Hoffmann: Mit dem vorliegenden Vertrag, sehen wir: Es ist doch einiges zur Familie drin. Das begrüßen wir ausdrücklich. Aber - und das ist entscheidend - vieles bleibt leider unkonkret. Es gibt viele gute Stichworte, aber wenig Verbindliches. Fast alles steht unter dem Vorbehalt der Finanzierung. Das macht es schwierig, denn solange die Umsetzung nur angekündigt oder erstmal an Kommissionen delegiert wird, bringt das einer Familie oder einer alleinerziehenden Mutter, die am Monatsende rechnen müssen, wenig.

epd: Die Regierung sollte also schnell ins Handeln kommen?

Hoffmann: Angesichts von über drei Millionen armutsgefährdeten Kindern in Deutschland braucht es konkrete, durchfinanzierte Maßnahmen, die zeitnah umgesetzt werden. Neben fachlicher Expertise braucht es politischen Willen, damit die dringenden gesellschaftlichen Fragen wie die gerechte Anerkennung von Sorgearbeit und die Reduktion der Familienarmut angegangen werden. Natürlich ist uns bewusst, dass die finanzielle Lage angespannt ist. Angesichts dessen hätte man sogar noch weniger befürchten können. Aber gerade das macht es umso wichtiger, Prioritäten richtig zu setzen. Wer jetzt nicht in Familien investiert - in Kinderbetreuung, Bildung, faire Unterstützung -, der spart an der Zukunft. Wir brauchen Verlässlichkeit. Wir brauchen konkrete Schritte - nicht nur Prüfaufträge.

epd: Ein Kernproblem der künftigen Regierung dürfte sein, dass an vielen Stellen das Geld fehlt. Werden da nicht zwangsläufig Reformen für Bedürftige ausgebremst?

Hoffmann: Wenn die Bundesregierung wirklich eine soziale Gesellschaft will, muss sie Prioritäten setzen - und Kinderarmut sowie die Unterstützung von Familien gehören an die oberste Stelle. Es ist eine politische Entscheidung, ob man Haushaltsmittel für soziale Gerechtigkeit oder in anderen Bereichen einsetzen möchte.

epd: Wie sicher sind die versprochenen Verbesserungen, die noch unter Finanzierungsvorbehalt stehen?

Hoffmann: Viele Vorhaben sind bisher nur Absichtserklärungen, und das ist enttäuschend. Wenn zentrale Projekte wie die Reform des Elterngelds nicht verbindlich finanziert und gesetzlich verankert werden, bleibt alles bloße Rhetorik. Familien brauchen Verlässlichkeit - kein „Vielleicht“ und keine Vertröstungen auf ungewisse Zeit. Derzeit ist nichts sicher. Fast alles, was im Koalitionsvertrag steht - ob Elterngeld, bessere Betreuung oder familienfreundlichere Leistungen - steht unter Finanzierungsvorbehalt. Und wir wissen alle: Die öffentlichen Kassen sind knapp, das wird sich so schnell auch nicht ändern. Deshalb ist es umso wichtiger, dass dort, wo es Zusagen gibt, das Geld auch wirklich ankommt. Im März hat die Bundesregierung ein Investitionspaket angekündigt - unter anderem für bessere Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur. Wir hoffen sehr, dass die Mittel aus diesem Investitionspaket auch wirklich dorthin fließen, wo sie gebraucht werden: in die Kitas, in die Schulen, in die Ausbildung von Fachkräften.

epd: Sie fordern konkret mehrere Maßnahmen, etwa höheres Kindergeld, mehr Elterngeld, Klimageld, Freibeträge für Eltern in den Sozialkassen. Wie dringend sind all diese Ansätze und wie sollen sie bezahlt werden?

Hoffmann: Diese Maßnahmen sind überfällig. Höheres Kindergeld, ein armutsfestes Elterngeld, Freibeträge für Eltern - das alles ist notwendig, um Familien zu stärken und Kinderarmut zu bekämpfen. Man darf nicht immer nur auf die Ausgabenseite von heute schauen und alles als „Mehrkosten“ abtun. Wenn wir heute mehr Geld in Bildung und Betreuung investieren, dann sind das keine Belastungen, sondern echte Zukunftsinvestitionen. Jeder Euro, der heute in gute Kitas, qualifizierte Fachkräfte oder verlässliche Ganztagsangebote gesteckt wird, zahlt sich später aus - gesellschaftlich wie volkswirtschaftlich. Ein weiteres gutes Beispiel ist das Klimageld. Natürlich kostet das etwas. Aber es gibt auch konkrete Gegenfinanzierungsmöglichkeiten - etwa über die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Das ist nicht nur machbar, sondern auch sozial gerecht: Wer wenig hat, darf am Ende nicht die Hauptlast des Umbaus zu mehr Klimaschutz tragen.

epd: Warum sind die Freibeträge für Familien so zentral?

Hoffmann: Bei unserer Forderung eines Freibetrags für Familien in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung geht es um eine gerechtere Verteilung der Lasten und um die gesellschaftliche Anerkennung dessen, was Familien tagtäglich für das Umlageverfahren leisten. Diese Freibeträge wären ein Zeichen: Ihr werdet gesehen, eure Leistung zählt. Das wäre nicht unbedingt teurer - vor allem wäre es fairer.

epd: Das Gleiche gilt bei der Bezahlung privater Pflegeleistungen (Pflegegeld). Wir realistisch ist es, dass hier Reformen kommen, die das möglich machen?

Hoffmann: Wenn wir uns anschauen, was der Koalitionsvertrag zum Thema Pflege sagt, dann sind die Aussagen leider sehr zurückhaltend. Da heißt es zum Beispiel: „Wir prüfen, wie perspektivisch ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann.“ Das klingt mehr nach einem vagen Prüfauftrag als nach echter Reformbereitschaft. Aus unserer Sicht wird da viel zu wenig gemacht - obwohl der Handlungsdruck längst da ist. Die Pflege durch Angehörige ist eine tragende Säule unseres Pflegesystems. Doch viele Familien sind dabei finanziell überfordert. Eine Reform, die Pflegeleistungen verbessert und würdigt, ist nicht nur fair, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

epd: Warum?

Hoffmann: Realität ist, dass ein Großteil der Pflegearbeit in Deutschland von Familien, meist still, unbezahlt und unter hoher Belastung, geleistet wird. Wenn diese Familien nicht einspringen würden, müsste der Staat diese Pflege leisten. Hier wissen wir alle: Es fehlt an Fachkräften, es fehlt an Kapazitäten, an Infrastruktur, an finanziellen Mitteln. Mit anderen Worten: Ohne das Engagement der Familien würde das Pflegesystem an vielen Stellen schlichtweg zusammenbrechen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Leistung endlich anerkannt wird - auch finanziell. Ein Familienpflegegeld wäre ein wichtiger Schritt als gerechter Ausgleich für die Pflegeleistung und die Entlastung der Allgemeinheit.

epd: Eine Möglichkeit, an Geld zu kommen, liegt in der Kappung des Ehegattensplittings. Wie stehen Sie dazu?

Hoffmann: Die Streichung des Ehegattensplittings ist kein seriöser Sparvorschlag. Beim Ehegattensplitting wird das gemeinsame Einkommen eines Paars versteuert, unabhängig davon, wie sich die Einkommen auf die beiden Partner verteilen. Dadurch werden alle Ehen mit gleichem Gesamteinkommen und gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gleich behandelt. Es geht also nicht um ein Steuerschlupfloch, sondern um eine sachgerechte Besteuerung des gemeinsamen Einkommens. Eine Streichung des Ehegattensplittings steht ausdrücklich nicht im Koalitionsvertrag und wäre im Übrigen auch verfassungswidrig.

epd: Wie sieht eine Alternative aus?

Hoffmann: Wir unterstützen würden die Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V. Sie verzerrt das Bild vom tatsächlichen Einkommen, wirkt sich nachteilig auf Rentenansprüche und Lohnersatzleistungen aus und gehört reformiert.

epd: Im Koalitionsvertrag wird eine sogenannte Teilhabe-App für Kinder angekündigt. Die Vorstellung ist, dass Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets - also etwa das Fußballtraining - künftig mit dieser Karte bezahlt werden sollen. Ist das hilfreich oder nicht mehr als eine technische Spielerei?

Hoffmann: Eine solche App kann hilfreich sein, aber sie darf keine Scheinlösung bleiben. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist schon heute viel zu bürokratisch. Eine App ist nur dann ein Fortschritt, wenn sie Zugang zu Leistungen tatsächlich erleichtert und vor allem alle Familien erreicht - besonders jene mit geringem Einkommen. Die Umsetzung einer solchen App ist zudem komplex, da Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten müssten.

epd: Noch ein Novum steht im Vertrag, über das bisher kaum jemand spricht: Die Einführung der Frühstart-Rente. Jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, soll pro Monat zehn Euro in ein kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen. Was sagen Sie dazu?

epd: Die angekündigten zehn Euro pro Monat sind sicherlich kein Gamechanger für die Altersvorsorge. Bis zum 18. Geburtstag würde der Staat für jedes Kind 1.440 Euro einzahlen. Mit Zinsen könnte es möglicherweise ein Betrag von gut 2.000 Euro werden. Der Hauptvorteil wäre der edukative Effekt: Kinder kämen bereits früh mit dem Thema der privaten Altersvorsorge in Kontakt und hätten bereits ein Altersvorsorgedepot. Wenn junge Menschen die bereits eingeleitete private Altersvorsorge fortführen würden, könnte dies tatsächlich einen großen Unterschied für ihr Vermögen im Alter machen.