
Die staatlich anerkannte Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen und Sexualberatung der Stadtmission Nürnberg besteht seit 50 Jahren. Weshalb sie heute genauso nötig ist wie damals, erläutert Elisabeth Mitterer, Leiterin der Einrichtung, in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.
Die Beratungsstelle der Stadtmission Nürnberg wurde in einer gesellschaftlich aufgewühlten Zeit gegründet: 1971 sorgte der Stern-Titel „Wir haben abgetrieben“ für eine breite Debatte über den Umgang mit dem Paragraf 218 Strafgesetzbuch (StGB), der 1974 reformiert wurde. Bis dahin waren Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gänzlich verboten. Die Gesetzesreform war ein Meilenstein für Frauenrechte und ihr Selbstbestimmungsrecht, nun waren Schwangerschaftsabbrüche unter gewissen Voraussetzungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich.
Als evangelischer Träger setzten wir ein deutliches Zeichen, als 1975 entschieden wurde, mit einer eigenen Einrichtung Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Sexualberatung und Sexualpädagogik aufzugreifen. Unsere Beratungsstelle war damit nicht nur in Nürnberg, sondern auch bayernweit ein Novum. Neben der Schwangerschaftskonfliktberatung wurden von Beginn an auch allgemeine Schwangerenberatung, finanzielle Hilfen sowie Sexualberatung angeboten - eine ganzheitliche Herangehensweise, die bis heute das Profil unserer Einrichtung prägt.
„Viele ungelöste Herausforderungen“
Trotz gesellschaftlicher Fortschritte sehe ich nach wie vor viele ungelöste Herausforderungen: Frauen, die ungewollt schwanger werden, suchen auch heute vor allem eines: eine vertrauensvolle, wertschätzende Begleitung. Keine Frau macht sich diese Entscheidung leicht. Existenzielle Sorgen, Zukunftsängste oder Partnerschaftskonflikte spielen oft eine große Rolle bei ihrer Entscheidung.
Besonders kritisch ist, dass es immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen - insbesondere im ländlichen Raum. Das erschwert den betroffenen Frauen die Zugangswege. Mein dringender Wunsch wäre daher eine zeitgemäße Reform des Paragrafen 218 StGB, die unter anderem Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche entkriminalisiert. Mit dieser Forderung sind die Beratungsstellen mitnichten allein: Dafür spricht sich laut aktuellen Studien auch der Großteil der Gesellschaft aus. Es ist an der Zeit, dass die Politik diese gesellschaftliche Realität endlich anerkennt.
1.600 Beratungen pro Jahr zeigen hohen Bedarf
Mit über 1.600 Beratungsgesprächen im Jahr 2024 zeigt sich zudem der anhaltend hohe Bedarf an qualifizierten Beratungen. Unser Angebot reicht von Schwangerschaftskonfliktberatung über Begleitung bei traumatischen Geburtserlebnissen, Totgeburten und unerfülltem Kinderwunsch bis zur Unterstützung bei besonders belastenden Schwangerschaften. Auch Eltern mit „Schreibabys“ oder Schlafproblemen finden bei uns Unterstützung, wenn sie die Anfangszeit mit ihren Kindern besonders belastend erleben. Mein Team begleitet Ratsuchende mit großem Fachwissen und viel Empathie, in allen Phasen von Schwangerschaft, Geburt und früher Elternschaft bis zum dritten Lebensjahr des Kindes.
Ein weiteres zentrales Arbeitsfeld ist die Sexualpädagogik. Wir sensibilisieren in weiterführenden Schulen und Bildungseinrichtungen junge Menschen für Themen wie Verhütung, sexuelle Selbstbestimmung und Prävention sexualisierter Gewalt. Die Nachfrage übersteigt dabei bei Weitem die personellen Ressourcen. Ich halte einen Ausbau dieser wichtigen Präventionsarbeit für dringend nötig. Denn Aufklärung ist der erste Schritt, um Risiken wie ungewollte Schwangerschaften oder sexualisierte Gewalt zu vermeiden. Und nebenbei leisten die Angebote auch wichtige Integrationsarbeit in den überwiegend multikulturellen Schulklassen. Aber auch die Wiederaufnahme von sexualpädagogischen Angeboten der Beratungsstellen in den Grundschulen wäre aus meiner Sicht wünschenswert.
Geschützter Raum für sozial Benachteiligte
Erwachsene können sich bei sexuellen Problemen an die Sexualberatung der Beratungseinrichtung wenden und erhalten hier zum Beispiel Unterstützung bei Erektionsstörungen, Vaginismus oder Unzufriedenheit in der Paarsexualität.
Unsere Beratungsstelle hat auch eine besondere Bedeutung in der Arbeit für sozial benachteiligte Gruppen: Alleinerziehende, Frauen mit Migrationshintergrund oder Menschen unter der Armutsgrenze finden hier einen geschützten Raum, um über sensible Themen sprechen zu können. Auch hier leisten die Berater und Beraterinnen einen Teil wichtiger Integrationsarbeit. So sind neben Unterstützung durch finanzielle Hilfen für eine Baby-Erstausstattung durch die Landesstiftung auch unter anderem Kindererziehung Thema in der Beratung.
Ganz grundsätzlich wünsche ich mir ein familienfreundlicheres Gesellschaftsklima. Denn gerade die Zeit rund um Schwangerschaft und Geburt ist eine besonders sensible Phase im Leben, die uns alle betrifft. Hier wird der Grundstock für den Start ins Leben und die Gesellschaft gelegt, und das bekommt noch immer zu wenig Bedeutung. Noch immer wird speziell von Müttern erwartet, dass sie einfach funktionieren, ohne dass sie häufig ausreichend Unterstützung erhalten.