
Der Briefkasten quillt über, die Jalousien gehen nicht hoch, keiner reagiert auf die Türklingel: „Mein Nachbar ist in seiner Wohnung vielleicht in Not“ - solche Notrufe seien häufig, sagt Frank Hachemer, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes in Berlin. Zwar würden zentral keine Zahlen erfasst, aber je nach Größe einer Kommune gebe es oft mehrmals pro Woche Einsätze nach Anrufen besorgter Menschen.
Worauf sollte man in der Nachbarschaft achten?
„Wahrnehmbare Rufe und Geräusche sollten uns natürlich aufmerksam machen“, sagt Hachemer vom Feuerwehrverband. Weitere Hinweise, die auf einen möglicherweise hilflosen Menschen in der Nachbarwohnung deuten, seien neben vollen Briefkästen auch Zeitungsstapel vor der Wohnungstüre, dauerhaft geschlossene Rollläden, immer brennende Lampen, ein lange nicht bewegtes Auto.
Dies zu bewerten, hänge grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab, erklärt Lea Boße, Pressesprecherin beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main. Handelt es sich um eine ältere Person? Liegen körperliche oder geistige Einschränkungen vor? Ist die Person öfter über eine gewisse Zeit nicht erreichbar? Hinzu kämen äußere Umstände, etwa, wie lange kein Kontakt mehr bestehe oder ob übliche Kontakte aus nicht ersichtlichen Gründen plötzlich nicht mehr stattfänden. Die Polizei Frankfurt appelliert: „Im Zweifel lieber einmal zu oft den Notruf gewählt als einmal zu wenig.“ Fehlalarmierungen würden hier bewusst in Kauf genommen, da unter Umständen Menschenleben in Gefahr seien.
Muss man sich dennoch Gedanken um eine mögliche Haftung machen?
Luisa Peitz, Referentin Recht beim Verband Haus & Grund Deutschland in Berlin, erklärt: „Entscheidend ist, dass der Notruf in gutem Glauben und auf Grundlage objektiver Anhaltspunkte - wie längere Inaktivität oder ausbleibende Reaktionen - abgesetzt wurde. Die Rettungskräfte stellen in solchen Fällen ihre Einsatzkosten in der Regel nicht in Rechnung, da das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr überwiegt.“ Eine Kostenpflicht könne jedoch dann entstehen, wenn die Alarmierung vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt sei.
Was sollten besorgte Nachbarn tun, ehe sie Rettungskräfte rufen?
„Ein eigener Versuch, mit betreffenden Personen in Kontakt zu treten, sollte vorne anstehen, wie Klingeln an der Wohnungstüre, Anrufversuche“, sagt der Vizepräsident des Feuerwehrverbandes, Hachemer. „Haben Sie Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen, vielleicht auch mit Wohnungsschlüssel, oder zu Freunden, Bekannten?“ Möglicherweise sei die Person in einer Klinik und daher nicht zu Hause. Erhärte sich der Verdacht, dass ein Notfall vorliege, seien Polizei oder Rettungsdienst und Feuerwehr über den jeweiligen Notruf (110 Polizei, 112 Feuerwehr und Rettungsdienst) die richtigen Kontakte.
Wird nach dem Notruf die auf jeden Fall Tür aufgebrochen?
Abhängig vom Einzelfall wird nach Angaben der Frankfurter Polizei zunächst eine Streife mit dem Auftrag geschickt, weitere Informationen zu ermitteln. Sie beurteilt die Lage und entscheidet mit Unterstützung durch die Leitstelle oder das Revier, ob die Tür geöffnet wird. Das Öffnen der Tür an sich übernimmt dann die Feuerwehr, welche die Polizei gegebenenfalls nachfordert, wie Sprecherin Lea Boße erklärt.
Luisa Peitz vom Verband Haus & Grund erklärt: „Eine Türöffnung ist gerechtfertigt, wenn Gefahr im Verzug ist, also eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder bedeutende Sachwerte besteht und ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist.“ Vor einer Notöffnung müssten alle milderen Mittel ausgeschöpft sein, wie Kontaktversuche durch Klingeln oder Telefonanrufe sowie die Nachfrage bei Nachbarn oder dem Vermieter.
Sei die Lage eher unklar, müsse im Einzelfall entschieden werden, sagt Hachemer von der Feuerwehr. Beim Öffnen des Hauses oder der Wohnung werde nicht immer mit brachialer Gewalt gearbeitet. Lasse es die Lage zu, werde versucht, einen möglichst schadensarmen Zugang zu schaffen, wie es heißt: So prüft die Feuerwehr auch, ob es eine Alternative zum Weg über die Wohnungstür gibt - etwa die offenstehende Balkontür, die über die Feuerwehrleiter erreicht werden kann.
Wer zahlt, wenn die Wohnungstür einer Mietwohnung aufgebrochen werden muss?
Werde die Wohnungstür einer Mietwohnung bei einem Einsatz von Rettungskräften oder Feuerwehr beschädigt oder zerstört, sei grundsätzlich der Vermieter für die Instandsetzung oder den Austausch der Tür verantwortlich, erklärt Luisa Peitz. Sie appelliert: „Eine offene Kommunikation und klare Absprachen zwischen Mietern, Vermietern und Nachbarn sind entscheidend, um im Notfall Missverständnisse und unnötige Türöffnungen zu vermeiden.“ Sie empfiehlt Mietern, bei längerer Abwesenheit eine Vertrauensperson zu benennen, die im Notfall kontaktiert werden könne.