Sebastian Herzberger blickt beim Gehen konzentriert nach vorne. In seinen Händen hält der 33-Jährige eine Spiegelreflexkamera, der Tragegurt liegt sicher um seinen Hals. Bei seinem heutigen Termin soll nichts schiefgehen.
Auf einem Dreh beim Verkehrsbetrieb der Stadt Hanau ist kaum zu bemerken, dass Herzberger eine Autismus-Spektrum-Störung hat und lernbehindert ist. Mit wachem Blick scannt der Video-Journalist und Fotograf die Bus-Werkstatt nach Bildmotiven ab. Sobald er etwas entdeckt, bleibt er stehen, sucht die passende Perspektive und drückt den Auslöser.
Herzberger arbeitet im Medienteam des Behindertenwerks Main-Kinzig (BWMK). Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit Beeinträchtigungen ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu ermöglichen.
Kleine Redaktion ermöglicht Ausbildung
Neben rund 50 Orten betreuten Wohnens, Betrieben mit Behindertenwerkstätten und Dienstleistungs-Einrichtungen betreibt das BWMK auch eine eigene Mediengruppe. Eine kleine Redaktion, die Personen mit Lern- und geistiger Behinderung oder Entwicklungsstörung journalistische Ausbildungen für Medien ermöglicht.
Zusammen mit seinen drei Kollegen recherchiert, dreht und produziert Herzberger kurze Video-Reportagen und veröffentlicht Fotos im Intranet des BWMKs. „Für mich ist Routine in den Abläufen sehr wichtig“, sagt der Journalist. Wenn er nicht unterwegs auf Terminen ist, beginnt sein Arbeitstag in der Redaktion früh. Ab 8 Uhr recherchiert er in seinem Büro, nimmt an Besprechungen teil oder besucht Schulungen.
Zum Schluss kommt die Musik zum Video
Besonders gerne widmet sich Herzberger dem Videoschnitt. Wie bei einem Puzzle reiht der Journalist dafür einzelne Aufnahmen auf seinem Bildschirm aneinander, bis daraus ein fertiger Beitrag entsteht. Ist alles an seinem Platz, unterlegt er das Video mit Musik. „Ich war schon immer kreativ und hatte Interesse an Filmen“, erzählt er. „Beim Schneiden bin ich frei, die Projekte so umzusetzen, wie ich es möchte.“
Die Fertigkeiten, die er dafür braucht, hat Sebastian Herzberger während seiner Ausbildung zum Mediengestalter gelernt. Dass er heute Videos dreht und schneidet ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt für Menschen mit geistiger Behinderung, Lernbehinderung oder Entwicklungsstörungen nur wenige Ausbildungswege und Arbeitsplätze in der Medienbranche.
Multitasking gilt es zu vermeiden
Nach den Worten von Stefan Juraschek, Leiter der Mediengruppe des BWMKs, brauchen sie dafür nur ein ruhigeres Arbeitsumfeld und mehr Zeit: „Wir machen keine aktuelle Berichterstattung. Und wir versuchen, Multitasking bei unseren Mitarbeitern zu vermeiden.“ Über, mit und für Menschen mit Behinderung berichten, das sei das Hauptziel der Mediengruppe. Juraschek betont, dass Journalismus auch für beeinträchtigte Menschen zugänglich sein könne, wenn die Arbeitsbedingungen inklusiv sind: „Meine Leute schaffen das.“
Im Arbeitsalltag setzt die Mediengruppe auf individuelle Förderung der Mitarbeitenden. In dem vierköpfigen Team hat jedes Mitglied seine besondere Aufgabe: „Dem einen macht Bildbearbeitung Spaß, der andere findet Animationen und Grafiken toll.“ Juraschek betont: „Bei uns bekommt jeder die Möglichkeit, immer besser in seinem eigenen Spezialgebiet zu werden.“
Erfolgserlebnis durch eigene Problemlösung
Das funktioniere am besten, wenn sich die Mitarbeiter der Mediengruppe so viel wie möglich aus eigener Motivation heraus aneignen. Auch Sebastian Herzberger versucht, Probleme bei der Arbeit selbst zu lösen. Fragen zur Videoschnittsoftware oder zur Bedienung seiner Kamera beantwortet er sich, indem er Tutorials auf YouTube ansieht. Selbsterarbeitete Lösungen werden so zu wichtigen Erfolgserlebnissen.
Auf Außentermine für Interviews und Drehs fährt Stefan Juraschek dennoch zur Betreuung mit. Vor allem, um die Mitglieder seiner Mediengruppe bei spontanen, unübersichtlichen Situationen zu unterstützen. Unerwartetes kann für sie schnell eine Überforderung sein. Bei Sebastian Herzberger halte er sich aber meist im Hintergrund. „Herr Herzberger macht eine super Arbeit“, lobt Juraschek: „Er kann meistens genau umsetzen, was ich mir von unseren Medienprodukten vorstelle.“
epd video: Inklusion in den Medien: So arbeitet Journalist Sebastian Herzberger.