Menschen mit Behinderung nicht bei jedem Arzt willkommen
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Evi Gerhad
Würzburg (epd).

Es war ein Augenblick, den Evi Gerhard nicht vergessen wird. Nach einer MRT-Untersuchung kam eine Mitarbeiterin auf sie zu und sagte: „Bitte gehen Sie beim nächsten Mal woanders hin. Wir hätten uns an Ihnen vorhin fast einen Bruch gehoben.“

„Ich war verletzt, habe mich wie ein Mensch zweiter Klasse gefühlt”, sagt Gerhard. Die Würzburgerin leidet an Spastiken und sitzt im Elektrorollstuhl. Zum Arzt zu gehen, empfindet die 50-Jährige eigentlich immer als grauenvoll: “Ich kenne in meiner Region keine einzige Praxis und keine Klinik, die wirklich barrierefrei ist."

Bei einem Termin zum Röntgen gelang es wieder einmal nicht, Evi Gerhard auf den Tisch zu legen. Das Röntgen der Gliedmaßen erfolgte mit Unterstützung eines Arztes im Rollstuhl. Nirgends, rügt Gerhard, werde ein Lifter vorgehalten. Und fast nirgends gebe es Personal, das in der Ausbildung gelernt habe, wie man mit einem spastischen Menschen umgeht. „Aber wenn ich dann beim Arzt erkläre, wie man mich zu handhaben hat, nimmt man mich meist nicht ernst, 'behindert' bedeutet immer noch häufig 'blöd'“, beklagt die Rollstuhlfahrerin.

Im Krankenhaus keine Toiletten für Rollstuhlfahrerinnen

Auch Krankenhausaufenthalte haben ihre Tücken. Unlängst war Gerhard auf der Privatstation einer Klinik: „Nicht, weil ich Privatpatientin wäre, aber kein anderes Zimmer war auch nur annähernd rollstuhlgerecht.“ Doch selbst auf der Privatstation gab es im Zimmer keine Toilette, die sie als Rollstuhlfahrerin hätte benutzen können.

Juristin Lilian Krohn-Aicher, die bei der Lebenshilfe für das Thema "Gesundheit” zuständig ist, bestätigt, dass viele behinderte Menschen im Gesundheitssystem benachteiligt werden. Erhebungen zu Barrierefreiheit zeigen nach ihren Worten, dass nur höchstens 26 Prozent aller Praxen für Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind. Während es für Apotheken eine Verpflichtung gebe, die Geschäftsräume barrierefrei zu gestalten, stehe eine solche Verpflichtung für Arztpraxen noch aus, sagt die Expertin.

Der Sozialverband VdK bestätigt ebenfalls, dass sehr viele Anbieter gesundheitlicher Dienstleistungen nicht auf Menschen mit Behinderung eingerichtet sind. Die Infrastruktur sei weithin nicht barrierefrei. Menschen mit Handicap könnten zum Beispiel nicht flexibel behandelt werden: Für ihre speziellen Bedürfnisse gebe es schlicht keine Zeit. Menschen mit Behinderung würden fortlaufend benachteiligt, erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele auf Anfrage des epd.

Kassenärzte: Erfüllung aller Kritierien für Barrierefreiheit unmöglich

Der VdK fordert nach ihren Worten deshalb die Einführung eines vollständig barrierefreien, auf die Bedürfnisse von behinderten Menschen ausgerichteten Gesundheitssystems im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. „Zusätzlich verlangen wir, dass umfassend und transparent über den Stand der Barrierefreiheit von Arztpraxen informiert wird“, sagt die Präsidentin. Um diese Ziele zu erreichen, müsse der aktuelle Aktionsplan für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen durch das Bundesgesundheitsministerium verbindlich umgesetzt werden.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) räumt ein, dass in vielerlei Hinsicht nachgebessert werden müsste. Doch alle Kriterien für Barrierefreiheit zu erfüllen, sei unmöglich, erklärte Pressesprecher Roland Stahl: „Weil das Thema sehr komplex ist.“ Gemeinsam mit Verbänden der Selbsthilfe und Inklusion habe die KBV einen Katalog von 83 Kriterien definiert, der Barrierefreiheit in den Bereichen Mobilität, Hören, Sehen und Kognition beschreibt. Das zeige: „Es ist so gut wie unmöglich, vollkommene Barrierefreiheit zu schaffen.“

Problem Brand- und Denkmalschutz

Auch, weil im Gesundheitswesen Barrierefreiheit durch sich widersprechende Gesetze konterkariert werde. So gibt es laut KBV Ärzte, die ihre Praxis gern umbauen würden. Das scheitere jedoch am Brandschutz. Oder an den rigiden Vorgaben zum Denkmalschutz. „Zudem gehen Baumaßnahmen mit enormen Kosten einher, die nicht gegenfinanziert sind“, sagt Stahl. Höhere Aufwände für behinderte Menschen würden zudem nicht vergütet. Was die KBV dezidiert ablehne, seien rigide Vorgaben zur Barrierefreiheit. Könnten diese nicht eingehalten werden müssten die Praxen schließen. Damit sei in Zeiten des Ärztemangels niemandem geholfen, sagt Stahl.

Von Pat Christ (epd)