
Fred (39) ist Führungskraft im Sozialbereich. Im vergangenen Jahr türmte sich bei ihm beruflich und privat der Stress auf. Wegen Nichtigkeiten wurde er laut gegenüber den Kindern, verpasste ihnen auch mal „einen Klaps auf den Hinterkopf“. Als ihn seine Frau mit den Kindern verließ, stand er „vor einem Scherbenhaufen“.
Tobias (40) ist Vertriebsleiter. Auch bei ihm flammten zu Hause die Aggressionen hoch. Der Familienvater warf mit Gegenständen um sich, trat gegen Türen, schubste einmal seine Frau. „Gerade gegenüber meinen Liebsten habe ich mich so verhalten, als wollten sie mir Böses“, erzählt Tobias. Seine Frau drängte: „So geht das nicht weiter, hol dir Hilfe.“
Beide Männer, deren Namen für diesen Bericht geändert wurden, stießen aus eigener Initiative auf das Anti-Gewalt-Training in der Fachstelle „drobs“ in Lüneburg, einer Suchtberatungsstelle der Diakonie. Die Gruppe umfasst sechs bis acht Teilnehmer, die sich wöchentlich für zwei Stunden treffen. 26 Wochen müssen die Teilnehmer durchhalten.
„Das geht ganz schön ans Eingemachte, da fließen auch Tränen“, erzählt Tobias, der das Programm vor kurzem abgeschlossen hat. Für ihn ist klar: „Das hat mir mein Familienleben gerettet.“ Die Notfallambulanz der örtlichen Psychiatrischen Klinik habe ihn auf das Anti-Gewalt-Training aufmerksam gemacht.
Männer aus allen Schichten und Altersgruppen
„Die Männer kommen aus allen Schichten und Altersgruppen“, sagt Sozialarbeiterin Imke Peters. Sie leitet die Gruppe zusammen mit ihrem Kollegen Albrecht von Bülow. „Einen typischen Teilnehmer gibt es nicht“, sagt Peters. „Hier sind Akademiker genauso wie Arbeiter, Männer von Mitte 20 bis weit über 60.“ Aber alle eint: Sie sind durch häusliche Gewalt auffällig geworden, meist gegenüber der Partnerin, manchmal auch gegenüber den Kindern.
In der Gruppe geht es um Kommunikationsmuster, Rollenbilder und Stressbewältigung. Auch Erfahrungen aus der eigenen Biografie sind ein Thema - womöglich wurde den Männern Gewalt schon von den eigenen Eltern vorgelebt. Ein wichtiger Baustein sei außerdem die „Tatrekonstruktion“, erläutert Imke Peters. Jeder Teilnehmer setzt sich intensiv mit einer Situation auseinander, in der er gewalttätig wurde, und erarbeitet Handlungsalternativen.
„Wir haben uns in der Gruppe die Eskalationsstufen in Konflikten bewusst gemacht“, erzählt Teilnehmer Fred. „Wie schaukelt sich ein Streit auf, wann kann ich noch aussteigen?“ Und auch nur zuzuhören, was andere in der Gruppe erzählen, sei hilfreich.
Großer „Werkzeugkoffer“
Tobias beschreibt es mit einem Bild: „Wir haben in dem halben Jahr einen großen Werkzeugkoffer bekommen - einschließlich Anleitung, wie wir die Werkzeuge benutzen können.“ Er habe zum Beispiel die Meditation für sich entdeckt. Und er erinnert sich an eine besonders bewegende Sitzung: Die Teilnehmer sollten einen Brief an sich selbst aus Sicht ihrer Kinder schreiben. „Das hat mich tief in der Seele berührt“, sagt Tobias. Seitdem habe er einen Vorsatz: „Ich möchte nie wieder, dass meine Tochter sagt: Papa ist böse.“
Das Anti-Gewalt-Training läuft in Lüneburg bereits seit 2008. Das niedersächsische Sozialministerium fördert das Programm mittlerweile an elf Standorten im Bundesland mit jeweils 29.000 Euro pro Jahr. Dazu kommen Teilnehmerbeiträge pro Sitzung und Eigenmittel des Trägers.
Neben der Gruppe bietet die Beratungsstelle eine Täter-Sprechstunde an. „Von der Polizei in den Landkreisen Lüneburg, Uelzen und Lüchow-Dannenberg bekommen wir alle Anzeigen wegen häuslicher Gewalt und laden die Männer zum Gespräch ein“, erläutert Imke Peters.
Fred, für den nur noch wenige Sitzungen ausstehen, hat in den vergangenen Monaten einige Scherben zusammengekehrt. Er habe wieder Kontakt zu seinen Kindern, erzählt er. Sie könnten den Vater nun erleben, ohne dass er laut werde. Tobias freut sich über mehr innere Ruhe, achtet besser auf seine Bedürfnisse. „Das Anti-Gewalt-Training“, bekennt er, „hat mich nachhaltig verändert.“