Kirchenpräsidentin Tietz: Nietzsche hat Theologie vorangebracht
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Christiane Tietz
Darmstadt (epd).

Der vor 125 Jahren gestorbene radikale Religionskritiker Friedrich Nietzsche hat nach Ansicht der evangelischen Theologieprofessorin Christiane Tietz zentrale Themen des christlichen Glaubens vorangebracht. „Seine kritische Perspektive wurde von der Theologie des 20. Jahrhunderts sehr ernst genommen“, sagte die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Man kann auch nach Nietzsche weiterhin am christlichen Glauben festhalten und eigene Antworten auf Grundfragen wie das Leid in der Welt finden.“

Am 21. August erscheint ihr Buch „Nietzsche. Leben und Denken im Bann des Christentums“ im Verlag C.H.Beck. Nietzsche starb am 25. August 1900 im Alter von 55 Jahren in Weimar.

Es gebe moderne theologische Ansätze, die Gottesbilder weiterentwickelt haben „und Gott nicht länger als den Ursprung allen Leids, sondern als den Begleiter und Tröster der Leidenden sehen“, fügte Tietz hinzu: „Man kann auch heute Gott so denken, dass man sagt: Es gibt Leid und es gibt Gott. Das kann man zusammen denken. Man kann sagen, Gott steht auf der Seite der Leidenden, er leidet mit ihnen mit, er trägt sie und hält sie.“

Kirche dürfe sich nicht in Weltflucht verlieren

Tietz ist seit Anfang 2025 EKHN-Kirchenpräsidentin und Honorarprofessorin an der Universität Mainz. Zuvor war sie Professorin für Systematische Theologie in Zürich, zudem hatte sie Gastdozenturen und Forschungsaufenthalte in Cambridge, Chicago, Jerusalem, New York und Princeton.

Die Theologin sagte, Friedrich Nietzsche kritisiere zu Recht ein Christentum, „das seine Hoffnung einzig auf ein Leben nach dem Tod setzt und sich in Weltflucht verliert, statt aktiv im Hier und Jetzt zu wirken.“ Seine Kritik zeige, wie gefährlich es ist, den Glauben an Gott als ein Lohn- und Strafsystem misszuverstehen, so Tietz weiter: „Das ist für die evangelische Theologie unvereinbar.“

Der Philosoph Nietzsche sah im 19. Jahrhundert den Zusammenbruch alter Weltbilder voraus, auch den zunehmenden Bedeutungsverlust von Religion. Er wurde am 15. Oktober 1844 in Röcken in Sachsen-Anhalt als Sohn eines lutherischen Pfarrers geboren. Nach Schule und Studium der Theologie und klassischen Philologie in Bonn und Leipzig wurde Nietzsche außerordentlicher Professor für griechische Sprache und Literatur an der Universität Basel. Nach Ausbruch einer schweren psychischen Erkrankung verbrachte er seine letzten Lebensjahre in Weimar.

epd-Gespräch: Stephan Cezanne