Eine Heimat für kranke und verletzte Kühe
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Friederike Irina Bruning
Deutsche betreibt in Indien eine Kuh-Herberge
Neu-Delhi (epd).

Wer Friederike Irina Bruning besucht, findet sie inmitten von rund 3.000 kranken, verletzten und alten Kühen. In Radhakund, einem Ort rund 150 Kilometer entfernt von der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, betreibt die Deutsche seit mehr als 20 Jahren eine Kuh-Herberge. Die 67-Jährige hat hier ihre Lebensaufgabe gefunden.

Bereits nach dem Abitur reiste die Berlinerin nach Indien - und blieb. Fasziniert war Bruning, deren indischer Name Sudevi Mataji lautet, vom spirituellen Leben. In der heiligen Schrift der Bhagavadgita habe sie die Antwort auf all ihre Fragen gefunden, sagt sie. Also suchte sie sich einen Guru, wurde initiiert, las die heiligen Schriften, lebte in Askese und zog sich in Höhlen des Himalaja-Gebirges zurück: „So habe ich die Sommermonate verbracht und praktizierte, worin ich eingeweiht wurde“, erzählt sie. Im Herbst kehrte sie dann jedes Jahr zurück nach Radhakund.

Doch die Aufenthalte in den Bergen wurden immer kürzer und seltener, als sie 2004 die Kuh-Herberge eröffnete. Und so sitzt Bruning - klare Augen, zierlich, wettergegerbt - heute in einem schlichten Baumwollhemd auf einem Mäuerchen im Kuh-Gehege. Kommen neugierige Tiere vorbei, legt sie ihnen liebevoll ihren Arm um den Hals, streichelt sie und spricht mit ihnen.

Kühe landeten auf der Straße, Unfälle nahmen zu

„Als ich vor 45 Jahren hier ankam, gab es kaum Kühe auf der Straße. Nur ein paar Stiere liefen herum.“ Doch dann seien die Ochsen nach und nach von Traktoren ersetzt worden, die Stierkälber hätten ihren Wert verloren und seien ausgesetzt worden, erzählt Bruning. Als die Futterpreise stiegen, landeten plötzlich auch unproduktive Kühe und Kälbchen auf der Straße. „Zeitgleich stieg der Verkehr an, und da passieren Unfälle.“ Ihre erste Kuh habe sie nach einem Unfall von der Straße aufgelesen. So habe alles begonnen.

Zunächst hatte sie einen kleinen Tempel mit Hof gemietet. Doch als die Zahl der Kühe auf 30 stieg, mietete sie ein größeres Grundstück und gründete ihre Herberge, die Radha Surabhi Gaushala.

Inzwischen beherbergt Bruning rund 3.000 Kühe, etwa 500 von ihnen sind verletzt und brauchen regelmäßige medizinische Versorgung. Tatsächlich tragen viele der Tiere einen Mullverband um den Kopf oder den Bauch. Andere haben ein geschientes Bein, manchen fehlt eins. Rund 140 Angestellte arbeiten in der Herberge. Sie machen die Ställe sauber, füttern und betreuen die verletzten und erkrankten Tiere. Bruning finanziert die Kuh-Herberge aus eigenen Mitteln und Spenden.

Um ernste Fälle kümmert sich Rajendra Pandey, Fachkraft für Tiergesundheit: Die Kühe seien auf den Straßen unterwegs und bei Unfällen brächen sie sich die Beine oder den Rücken. „Sie liegen verletzt in der Sommerhitze und verdursten“, erklärt Pandey, der in einer Art Garage steht, mit Regalen voller Medikamente und Tinkturen. Pandey sortiert Ampullen, während er fortfährt: „80 Prozent der Tiere, die zu uns kommen, hatten einen Unfall. Sie liegen auf der Straße und keiner hilft ihnen.“

Heilige Tiere

Im Hof sitzen einige Arbeiterinnen und Arbeiter im Schatten. Malti, eine der Frauen, erklärt, dass sie hier jeden Tag acht Stunden ausmistet. Dafür bekomme sie monatlich 10.000 Rupien, umgerechnet etwa 100 Euro. Einer der Männer, Afsar Ali, berichtet, dass er seit zehn Jahren hierherkomme, um „Gau Mata“ - der „Mutter Kuh“ - zu dienen. Dabei spiele es keine Rolle, dass er Muslim ist: „Egal, welche Kaste oder Religion, wer Mutter Kuh verehrt, gehört zu ihr“, sagt er: „Sie unterscheidet nicht zwischen Hindus und Muslimen. Sie ist die Mutter aller.“

Der Dienst an der als heilig verehrten Kuh gilt in Indien als ehrenvoll. Insbesondere Gott Krishna hat ein enges Verhältnis zu den Kühen - er trägt Beinamen, wie „Kuhhirte“ oder „Beschützer der Kühe“. Darstellungen zeigen ihn oft in ländlicher Idylle.

Friederike Irina Bruning hat sich mit ihrem Engagement den Respekt ihres indischen Umfelds verdient. Die indische Regierung hat sie dafür bereits mit der sogenannten Shree-Padma-Auszeichnung geehrt, dem vierthöchsten indischen Zivilorden. Für sie zählt vor allem eins: „Das Leid von Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier, zu erkennen und zu lindern.“ Das helfe der Seele dabei, große Fortschritte zu machen. Der Dienst am nächsten Lebewesen, ohne Interesse daran, sich selbst zu bereichern, sei der beste Weg, ins Blickfeld Gottes zu geraten.

epd video: Herberge für Tausende Kühe

Von Antje Stiebitz (epd)