Bentz: Nahost-Frieden nur durch Existenzrecht für beide Seiten
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Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz
Paderborn (epd).

Einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten kann es nach Einschätzung des Nahost-Beauftragten der katholischen Deutschen Bischofskonferenz nur geben, wenn ein Existenzrecht sowohl für Israel als auch für das palästinensische Volk gewährleistet wird. Derzeit sei „ein Raum eröffnet, den man hoffentlich gut nutzt, um einen gerechten Frieden zu schaffen“, sagte der Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er rief dazu auf, einem erstarkenden Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten.

epd: Der Frieden im Nahen Osten ist noch sehr fragil. Was ist aus Ihrer Sicht nötig, damit es zu einem nachhaltigen Frieden kommen kann?

Bentz: Ich war zuletzt Ende Oktober in Israel und habe dort viele Gespräche gehabt. Dass inzwischen alle lebenden Geiseln frei sind, ist ein entscheidender Unterschied in diesem Friedensprozess zu früheren Anläufen, auch wenn die letzten Leichen noch nicht übergeben sind. Wir sind noch lange nicht bei einem wirklichen Frieden. Aber es ist ein Raum eröffnet, den man hoffentlich gut nutzt, um einen gerechten Frieden zu schaffen.

Auch wenn viele Schritte für diesen Friedensplan konkret noch nicht klar sind, muss jetzt zuerst die schlimmste Not gelindert werden. Die humanitäre Hilfe - die medizinische Versorgung, die Versorgung mit Lebensmitteln - hat absolute Priorität. Und zwar ohne Einschränkungen, ohne Schikanen. Das ist noch nicht gewährleistet. Und es gibt immer wieder auch Gefechte.

Hamas entwaffnen und Siedlergewalt unterbinden

Außerdem braucht es einen Aufbau, der sich nicht zuerst an ökonomischen Interessen einiger Mächtiger, sondern am gesellschaftlichen Leben aller orientiert. Dazu gehören Infrastruktur, die Versorgung mit Strom, Wasser und Medikamenten und medizinischen Einrichtungen. Angesichts der unglaublichen Traumatisierungen braucht es auch hier Hilfen zur Heilung. Bei den nächsten Schritten muss für alle spürbar sein: Das ist eine neue Qualität des Friedensprozesses. Das ist die Voraussetzung dafür, dass ein langfristiger, gerechter Friede aufgebaut werden kann.

epd: Wie kann das politisch aussehen?

Bentz: Es braucht internationale Präsenz vor Ort, die eine geordnete Entwicklung gewährleisten kann. Es braucht auch eine glaubwürdige und wirksame palästinensische Autorität. Auch die gibt es derzeit nicht. Und alle Vorstöße, die die Zwei-Staaten-Lösung weiter zu verunmöglichen versuchen, wie zum Beispiel die Siedlerdynamik, erst recht die Siedlergewalt im Westjordanland, müssen konsequent unterbunden werden. Die Zwei-Staaten-Lösung ist die einzige, die beiden Seiten gleichermaßen ein Existenzrecht ermöglicht. Alles, was diese Dynamik stützt, ist zu stärken.

Kritik an Israel setzt Empathie voraus

Berechtigte politische Kritik an Israel muss aus ehrlicher Empathie für die Situation des israelischen Volkes heraus formuliert werden. Man muss spüren, wie ernst jemand die Traumatisierung Israels durch den 7. Oktober und die Existenzbedrohung Israels durch die Hamas nimmt. Vor dieser antisemitisch gespeisten Existenzbedrohung und der dazugehörenden Gewaltbereitschaft können wir nicht die Augen verschließen, wie wir auch an dem Anschlag in Australien zum jüdischen Chanukka-Fest sehen.

epd: Welche Entwicklungen in Israel sehen Sie kritisch?

Bentz: Ich erlebe, wie tief verwundet und traumatisiert die Gesellschaft in Israel durch die Ereignisse im Oktober 2023 ist. Das geht quer durch die politischen Lager. Die daraus resultierende politische Dynamik darf man nicht unterschätzen. Erinnern wir uns an die innergesellschaftlichen, politischen Spannungen vor dem 7. Oktober, etwa durch die umstrittene Justizreform. Diese Gräben haben sich vertieft. Dazu kommt, dass einige Minister der israelischen Regierung rechtsextreme Positionen einnehmen, aber Verantwortung an sehr sensiblen Stellen tragen sollen.

Gefahr eines Flächenbrands im Westjordanland

Auch mit Blick auf den Umgang mit dem Westjordanland sowie mit der Siedlerpolitik entscheidet sich, ob wir den Mut haben, politisches Unrecht klar zu benennen, und gleichzeitig die Fähigkeit haben, an der Seite Israels zu stehen. Das ist für alle Beteiligten ganz, ganz schwierig.

epd: Wo sehen Sie Probleme?

Bentz: Ich sehe mit großer Sorge die Entwicklung im Westjordanland. Wenn sich nichts ändert, befürchte ich einen neuen Flächenbrand. Im Schatten von Gaza hat sich in den vergangenen Monaten die Gewalt radikaler Siedler im Westjordanland ausgebreitet. Mittlerweile ist auch das überwiegend christliche Dorf Taybeh im Westjordanland Übergriffen der Siedlerbewegung ausgesetzt. Da werden Autos angezündet, Zugänge zu den Olivenhainen verwehrt und es gibt heftige Bedrohungen. Da ist die Frage zu stellen: Wo ist die Sicherheitsbehörde Israels? Es liegt auch im Sicherheitsinteresse Israels, dass eine Lösung gefunden wird, die auch für das palästinensische Volk ein Existenzrecht gewährleistet.

epd: Was hat sich mit dem Anschlag auf Juden in Australien verändert?

Bentz: Das Lichterfest Chanukka ist das Fest für den jüdischen Glauben zur Wiederherstellung des jüdischen Tempels. Da geht es um die Freiheit, um Anerkennung und um Achtung des religiösen Glaubens. Chanukka ist ein Hoffnungsfest für die Juden. Und dann kommt dieser Anschlag. Wir sehen, dass Antisemitismus weltweit seine hässliche Fratze zeigen kann und deshalb überall jedes Anzeichen dafür sehr, sehr ernst genommen werden muss. Es braucht eine hohe Sensibilität, damit dem klar und konsequent Grenzen gesetzt werden.

In jüdischen Gemeinden haben viele Angst

epd-Gespräch: Holger Spierig (epd)