
Der Preis, den niemand will: In Bielefeld werden zum 25. Mal die Big-Brother-Awards an Politiker und Firmen für die Verletzung von Bürgerrechten „verliehen“. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zieht Jury-Mitglied Rena Tangens, Mitbegründerin des Datenschutz-Vereins Digitalcourage, eine Bilanz zum Jubiläum.
epd: Frau Tangens, welcher Moment in der 25-jährigen Geschichte der Big-Brother-Awards ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Rena Tangens: Da gibt es eine ganze Reihe! Da war das Einschreiben 2004 von der Firma Lidl, die uns am Morgen der Verleihung mit Klage drohte, falls wir den Negativ-Preis an sie verleihen würden. Wir haben ihn natürlich trotzdem verliehen, weil wir sicher waren, dass unsere Recherche wasserdicht war. Es kam keine Klage.
Einmal mussten wir den Award einem Preisträger hinterhertragen: Die kritischen Aktionäre hatten uns zur Hauptversammlung der Bayer AG nach Köln eingeladen und Aktien übertragen. Damit hatten wir Rederecht dort. So kam es, dass ich vor Bayer-Aktionären und Vorstand zum Thema „freiwillige“ Urinproben von Auszubildenden sprechen konnte. Das war so ziemlich die feindseligste Atmosphäre, die ich je bei einem Vortrag erlebt habe.
Und dann war da der Moment, als bei uns ein Mitarbeiter der Telekom 2008 vorsichtig anfragte, ob der Konzern in diesem Jahr einen Award bekommen würde. Ich sagte: Die Jury hat noch nicht getagt - aber halten Sie sich den Termin am besten schon mal frei. In dem Jahr war herausgekommen, dass die Telekom ihren eigenen Aufsichtsrat bespitzelt hatte. Der Datenschutzbeauftragte der Telekom hat den Preis dann auch persönlich entgegengenommen.
epd: Und haben Sie nachhaltig etwas bewirkt?
Tangens: Wir bekommen viele Hinweise aus der Bevölkerung und recherchieren das ganze Jahr, um Missstände und Skandale aufzudecken. Wir klären auf. So hat der Preis an die Metro AG im Jahr 2003 die Gefahren von sogenannten RFID „Schnüffel“-Funkchips allgemein bekannt gemacht, noch bevor die Technologie verbreitet war. Unsere Positionen dazu sind in die europäische Gesetzgebung eingeflossen.
Die Bundesinnenminister haben quasi ein Abo auf einen Big-Brother-Award. Seit 2001 sind immer neue Überwachungsgesetze beschlossen worden. Um da etwas zu bewegen, mussten wir Großdemonstrationen und Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung organisieren. Das brauchte einen langen Atem, aber war letztlich erfolgreich.
epd: Hat der Preis auch Zukunft?
Tangens: Auf jeden Fall! Es gibt eine Menge Ideen, wie wir die Big-Brother-Awards weiterentwickeln können. Dieses Jahr sind zum ersten Mal Jugendliche mit eigenen Beiträgen mit auf der Bühne - anders als allgemein angenommen, interessieren die sich für Datenschutz und dafür, was hinter Technik steckt.
Leider gehen uns die Themen nicht aus: Wir müssen uns auch weiter gegen Überwachungsgesetze, gefährliche Technologien und übergriffige Konzerne wehren.