Gewalt und Sucht - zwei Seiten einer Medaille
Gewalt Frau
Jede vierte Frau in Deutschland erfährt einmal im Leben häusliche Gewalt, besonders oft sind es Frauen mit einer Suchterkrankung. (Symbolbild)
Frauen-Schutzhaus «SEGEL» ist bundesweit einzigartiges Projekt
Mannheim/Stuttgart (epd)

Besuch beim Drogenverein Mannheim. «Ich lebte 46 Jahre mit einem Narzissten zusammen», berichtete Frau Müller gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ihren richtigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, zu groß ist die Furcht vor Verfolgung durch den Ehemann. «Ich durfte zuletzt gerade zwei Stunden am Tag das Haus verlassen», sagte Müller. Um die psychische Gewalt zu bewältigen, griff sie zur Flasche. «Mein Freund war der Alkohol», erinnert sie sich. Zur Gewalt kam die Sucht hinzu. Irgendwann fasste Frau Müller Mut und floh aus der häuslichen Gefangenschaft. Geschämt habe sie sich, das weiß sie noch genau. «Ich war ein Häufchen Unglück, mit zwei Einkaufstaschen stand ich auf der Straße.»

Sie ist eine von vielen Frauen, die häusliche Gewalt erfahren und eine Suchterkrankung entwickeln. Das Problem: Suchterkrankungen sind ein Ausschlusskriterium für die Aufnahme in einem Frauenhaus. Hilfe fand Müller bei «SEGEL» in Mannheim - einem Frauenhaus, das auch suchtkranke Frauen und deren Kinder aufnimmt. Träger des Modellprojektes sind das Mannheimer Frauenhaus und der Drogenverein Mannheim. Es wird im Rahmen des «Landesaktionsplans gegen Gewalt an Frauen» vom Sozialministerium Baden-Württemberg gefördert und von der Fakultät für Soziale Arbeit an der Mannheimer Hochschule wissenschaftlich begleitet.

Die baden-württembergische Staatssekretärin Ute Leidig (Grüne) sprach von einem «deutschlandweiten Leuchtturmprojekt, um Gewalt- und Suchtkreisläufe zu durchbrechen». Die bundesweit einmalige Einrichtung bietet betroffenen Frauen und ihren Kindern gesonderte Schutzräume und eine pädagogische Betreuung, die sowohl auf Gewalt als auch auf Sucht spezialisiert ist. «Wir wollen die Istanbul-Konvention in Baden-Württemberg kontinuierlich umsetzen», sagte die Staatssekretärin. «Dazu gehört es auch, dass wir besonders schutzbedürftige Frauen in den Blick nehmen. Das tut dieses Projekt.»

Die Istanbul-Konvention ist ein 2011 unterzeichneter völkerrechtlicher Vertrag, in dem sich die Vertragspartner zu verbindlichen Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt verpflichtet haben. «Gewalt und Sucht sind eng miteinander verbunden», betonte die Referentin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, Katrin Lehmann. Zahlen belegten, dass Frauen mit einer Suchterkrankung weitaus häufiger von Partnerschaftsgewalt betroffen seien als andere, sagten die Kooperationspartner.

Die Dunkelziffer der Fälle ist hoch. Viele Frauen wagen nicht den Schritt aus der Abhängigkeit heraus, weiß Philip Gerber vom Drogenverein Mannheim. Gerade wenn minderjährige Kinder im Haushalt leben, sei die Angst vor Inobhutnahme durch das Jugendamt groß, sagte Gerber. «Der Personenkreis kann durch das bisherige Angebot der Frauenhäuser nicht adäquat versorgt werden», hob Nazan Kapan, die Geschäftsführerin beim Mannheimer Frauenhaus, die Bedeutung von «SEGEL» hervor. Für die zweifache Problematik, Sucht und Gewalt, brauche es Expertise und ein Netzwerk. Kapan und Gerber verweisen auf «gut eingeführte Trägerstrukturen» wie medizinische Hilfen oder die Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim.

Dort steht ein Notbett für Frauen bereit, die eine Entziehungskur machen wollen. Eine Voraussetzung für die Aufnahme bei «SEGEL» sei eine Entziehungskur jedoch nicht, sagte Gerber. Im Schutzhaus dürften allerdings keine Drogen konsumiert werden.

Frau Müller hat sich für eine Entziehungskur entschieden. «Von dem Moment an ging es aufwärts», erinnert sie sich. «Ich bin heilfroh, dass ich hier gelandet bin», sagt sie heute, sieben Monate nach dem Einzug in das Schutzhaus.

 

Von Susanne Lohse (epd)